Doch auch wenn es im Ausklang der Krise einen gewissen Nachhol-, Befreiungs- oder Erleichterungskonsum gibt – die häufig beschworenen „Roaring 20s“ –, so bleiben die langfristigen, unterliegenden Trends bestehen und weisen auch mittelfristig auf eher verhaltene Aussichten für die Branche.
COVID-19 war zunächst eine Zäsur mit krisenbedingt komplett neuen Prioritäten. Mit zunehmendem Ausblick auf eine Erholung beziehungsweise ein organisierbares Leben mit dem Virus orientieren sich viele Unternehmen nun erneut in Richtung Zukunft. Sie hoffen auf eine Rückkehr zur Vorkrisenzeit oder eine ähnliche Erholung wie nach der Finanzkrise. Doch auch wenn es im Ausklang der Krise einen gewissen Nachhol-, Befreiungs- oder Erleichterungskonsum gibt – die häufig beschworenen „Roaring 20s“ –, so bleiben die langfristigen, unterliegenden Trends bestehen und weisen auch mittelfristig auf eher verhaltene Aussichten für die Branche.
Hinzu kommen anspruchsvolle Herausforderungen, die durch die Krise deutlich verstärkt wurden:
- Auch wenn Marktvolumina zurück auf Vorkrisenniveau steigen, so wird dies nicht zu den gleichen Marktanteilen wie vor der Krise führen. Die Marktanteilsgewinne von Plattformen, Onlinern oder hinreichend gut aufgestellten Omnichannel-Unternehmen werden sich verfestigen, da Konsumenten ihr Verhalten grundlegender umgestellt und neue Shopping-Routinen entwickelt haben.
- Der Kanal-Shift verstärkt sich zudem selbst: Die bereits vor der Pandemie sinkenden Besucherfrequenzen erholen sich bei durch Leerstand oder Abwanderung unattraktiveren Shopping-Umgebungen schlecht. Die vielfachen Aufrufe zum Erhalt attraktiver Innenstädte haben in den letzten Monaten eindrücklich den jetzt schon erlebten Druck der stationären Formate gezeigt. Selbst wenn etwas Revitalisierung gelingt, wird anhaltender Frequenzverlust die Flächenproduktivitäten weiter sinken lassen. Und die Kompensation über Conversion Rates ist bekanntermaßen endlich.
- Schließlich muss sich die Branche der umfangreichen sozio-ökonomischen Debatte zu Wertvorstellungen, Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung stellen. Diese wird nicht mehr nur durch Konsumenten oder Gesetzgeber (Stichwort Lieferkettengesetz) getrieben, sondern hält mittlerweile Einzug in die Kriterien von Investoren – und wird damit zunehmend den Zugang zu Finanzierung beeinflussen.
EY-Parthenon freut sich für und mit jedem Fashion-Akteur über etwas „Roaring Twenties” und den damit verbundenen Rebound, rät aber zur Vermeidung des Katers nach der Party in einer Drei- bis Fünf-Jahres-Perspektive dazu, zeitnah vier Themen zu adressieren:
Kapitel 1
Markenrelevanz: Überalterung, Beliebigkeit und eigener Standpunkt
Oft ist die eigene Zielgruppe schon viel weiter als eigentlich vermutet.
Wer voller Freude im Sommer endlich in wieder offenen Geschäften eine kleine Tour in den „Brand Stores“, Multilabel-Händlern oder Warenhäuser unternommen hat, hat vielleicht auch Folgendes festgestellt: Ziemlich einheitliche Saison! Klar, da liegen wie erwartet die vielen, vielen Basics und NOS-Artikel (= never out of stock, also immer verfügbar), die wenig überraschend aussehen wie letztes Jahr oder das Jahr zuvor. Dazu kommt aber das Saisonale – vergangene Sommersaison zum Beispiel ultra-weit geschnittene Blusen mit verspielten Kragen und Stickerei, Glockenjeans, gerne mit Fransen, kombiniert mit silbernen oder Vintage-Accessoires, sowie kurze Shirts dazu.
Auch wenn das Beispiel bewusst pointiert gewählt ist, so bleibt die Frage, wie sowohl der Rückzug auf das vermeintlich „gut Laufende“ beziehungsweise die oft uniforme Interpretation der Trends vermieden werden kann. Wie kann eine Marke sich von anderen abheben und damit für die eigene Zielgruppe relevant bleiben?
Nachahmung und Angebotsspirale – oft versucht, aber unwirksam
Zahlreiche Marken stehen vor der Herausforderung der ungesteuerten Überalterung: Labels, die vor 10 bis 15 Jahren populär bei der Zielgruppe der 25- bis 30-Jährigen waren, stehen dem Phänomen gegenüber, dass die eigene Kundengruppe mitgealtert ist. Wer gestern als hippe Youngster-Brand unterwegs war, kleidet heute somit die Mamas und Papas ein. Das bringt zwei Wachstumsdämpfer mit sich: Zum einen haben diese Marken über die Jahre wenig neue Kunden akquiriert und leben stark von ihrer ursprünglichen Fan-Basis. Andererseits ist die ältere Käuferschicht wenig ausgabefreudig: Ab 40 Jahren sinkt das durchschnittliche Mode-Budget signifikant. Um für die ausgabefreudigen Käuferschichten relevant zu bleiben, verpassen sich daher einige Labels eine Verjüngungskur.
Überalterung der Zielgruppe bringt zwei Wachstumsdämpfer mit sich: Zum einen haben betroffene Marken über die Jahre wenig neue Kunden akquiriert und leben stark von ihrer ursprünglichen Fan-Basis. Andererseits ist die ältere Käuferschicht wenig ausgabefreudig: Ab 40 Jahren sinkt das durchschnittliche Mode-Budget signifikant.
Allerdings gelingt dies nicht immer. Dabei sind nicht einmal die seltenen, sehr drastischen Stil- und Zielgruppenschwenke gemeint, die mehr oder weniger einen hundertprozentigen Austausch der bisherigen Zielgruppe erfordern – diese gehen üblicherweise nicht gut. Noch deutlich häufiger ist zu beobachten, dass eine Verjüngung in einer weniger drastischen, aber ähnlich ungesunden Angebotsspirale nach unten endet. Diese wird vor allem durch zwei Verhaltensweisen ausgelöst: dem Motto „more is more“, kombiniert mit einem intensiven Blick in den Rückspiegel.
Mit „more is more“ ist die Angebotsausweitung gemeint, die neue (und jüngere) Kundinnen in der Breite überzeugen soll. So ergänzen etwa zunehmend jüngere Produkte die aktuellen Bestseller und die Farbpallette – und damit auch die Anzahl an Optionen pro Style – wird ausgeweitet. Für jede und jeden soll etwas dabei und überall verfügbar sein! Zum Testen in kleiner Serie kann die Ausweitung sehr sinnvoll sein – im herkömmlichen Kollektionszyklus ist dies allerdings ein Garant für unverkaufte Ware am Ende der Saison und gebundenes Working Capital. Dazu kommt oft der Rückspiegelblick: Aufgrund der bisherigen Saisons werden die Bestseller auch in die neue Saison übernommen, ganz nach dem Motto: Sicher ist sicher! Dies führt, gepaart mit der ausgeweiteten Farbpallette, zu einem sehr breiten Angebot an Quasi-NOS.
In der Summe entsteht eine oft breite Kollektion, die nicht richtig weiß, was sie will. Die Kunden sind damit vor allem eines: überfordert. Wofür steht die Marke? Wenn Kundinnen sich diese Frage stellen, ist die Marke bereits beliebig geworden und riskiert, keine neuen Kunden zu gewinnen und gleichzeitig die Stammkunden zu vertreiben.
Mehr Mut zur Mode
Wie kann aber diese Angebotsspirale vermieden werden? Schließlich ist es naheliegend, dass eine Marke sich mit der Frage der Verjüngung oder Modernisierung (also nicht zwingend Richtung „jüngere Kundin“) befasst und dabei auch das Angebot modernisiert. Allerdings sind dabei einige Fragestellungen entscheidend und sorgfältig zu beantworten.
Es beginnt mit einem regelmäßig aktualisierten Bild der eigenen Zielgruppe. Viele Unternehmen haben ein oft nicht mehr zeitgemäßes Bild ihrer Zielgruppe und verhaften diese auf die Präferenzen und Stile, die diese „halt schon immer hatte“. Selbst wenn regelmäßig die üblichen Faktoren der Zielgruppendemographie gemessen werden, wird häufig das Kaufverhalten im eigenen Angebot fälschlich als Zielgruppenwunsch gedeutet. So entsteht ein Zirkelbezug und die Kundin deckt sich in ihren Wünschen nach eben nicht dem Immergleichen bereits seit Längerem anderweitig ein. Gerade im Bereich von Kundengruppen jenseits der 30 entsteht damit oft eine neue Form von Langeweile und Spießigkeit – und die oft späte Erkenntnis, dass die Kunden deutlich innovativer und aufgeschlossener sind als angenommen.
Gerade im Bereich von Kundengruppen jenseits der 30 entsteht damit oft eine neue Form von Langeweile und Spießigkeit – und die oft späte Erkenntnis, dass die Kunden deutlich innovativer und aufgeschlossener sind als angenommen.
Ein zweiter Faktor ist die Frage zur eigenen Marken-DNA und inwiefern eine Neuinterpretation davon möglich ist. Wofür kann eine Marke stehen? Wofür ist sie glaubwürdig, was kann sie gut? Und wie lässt sich die eigene Story authentisch über die Produkte, Verkaufs- und Kommunikationskanäle hinweg vermitteln? Das Rezept ist, wie so oft, nicht so einfach zu finden. Aber das Bestreben, mit einem klaren Markenstatement hoch relevant für eine Zielgruppe zu sein und gleichzeitig genug breites Angebot für den Risikoausgleich in der gleichen Kollektion zu haben, funktioniert nicht. Daher plädiert EY-Parthenon für mehr Mut in der Besinnung auf die eigene Markenaussage und die Marken-DNA – gut umgesetzt in eine klare Produktsprache, Kanalstrategie und eine konsequente Kommunikation.
Mut und Risikobereitschaft – auf Basis von Kundeneinsicht und Technologie
Fashion-Unternehmen sollten sich entsprechend zwei Themen vornehmen. Eines ist die Sicherstellung systematischer und regelmäßiger Einsichten in Kunden und Kundenverhalten. Diese sollten über die typische regelmäßige Befragung hinausgehen und alle konsumentenorientierten Informationen im Unternehmen sinnvoll verknüpfen – sei es aus Online-Kontaktpunkten, Loyalitätsprogrammen, Social Media Listening, Stores oder Marktforschung. Für alle Unternehmen, die sich noch wenig mit den technischen und analytischen Möglichkeiten beschäftigt haben, um aus großen Datenmengen zu lernen: Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt.
Gleichzeitig brauchen Marken vielfach eine deutlich klarere Festlegung der eigenen Position, unabhängig davon, ob diese eher Rückbesinnung oder Neuorientierung ist. Wofür steht die Marke und wofür steht sie auch klar nicht (mehr)? Das Weglassen und Aufgeben werden dabei die erfahrungsgemäß schwierigeren Entscheidungen sein – aber auch die notwendigen.
Heißt eine solche Fokussierung automatisch mehr Risiko? Nicht unbedingt, denn zum Glück gibt es immer mehr und immer ausgefeiltere Technologien zur datengestützten Trenderkennung, etwa über Auswertung der eigenen Homepage und des Kundenverhaltens, oder die Auswertung von Suchanfragen oder Social Media – und zwar auch für eine abgegrenzte und definierte Zielgruppe. Einige Start-ups tummeln sich im Bereich des AI-based Forecastings und werten etwa Insta-, Twitter- und Suchmaschinentrends mit künstlicher Intelligenz aus. Ebenfalls kann es sinnvoll sein, diese Erkenntnisse mit Produkttests zu kombinieren und beispielsweise über ein Nearshoring-Netzwerk kleine Serien in ausgewählten Stores und online zu testen, bevor die Produktion adaptiert und ausgerollt wird. Oder es wird direkt Kunden-Feedback eingeholt.
Trotz aller technologischen Methoden sollte am Schluss dennoch die künstlerische Freiheit und eine Portion an „Crazyness“ nicht verschwinden. Und die Diskussion zwischen Designer und Merchandiser über die Styles und Farben, die ganz, ganz sicher der nächste Bestseller werden, gehören ebenso dazu wie die nüchterne Datenanalyse.
Trotz aller technologischen und fast-wissenschaftlichen Methoden sollte am Schluss dennoch die künstlerische Freiheit und eine Portion an „Crazyness“ nicht verschwinden. Und die Diskussion zwischen Designer und Merchandiser über die Styles und Farben, die ganz, ganz sicher der nächste Bestseller werden, gehören ebenso dazu wie die nüchterne Datenanalyse. Sind nicht Kundinnen und Industrie gleichermaßen immer wieder davon fasziniert, dass Mode auch Platz für Kreativität, Polarisierung und Unvorhergesehenes bietet? Deshalb plädieren wir für klare Fashion-Statements, Mut und Kreativität – und genug Datenintelligenz und Zielgruppenwissen im Hintergrund, die den Mut belohnen.
Kapitel 2
Neue Wachstumstreiber oder das Ende von höher, schneller, weiter
Die alten Wachstumstreiber „Flächenexpansion“ und „Warendruck“ funktionieren nicht mehr.
In mittelfristig wieder gesättigten bis schlechtestenfalls rückläufigen Märkten stellt sich für Fashion-Akteure als nächstes die Frage nach den Wachstumshebeln. Das bis in die 2000er-Jahre probateste Mittel der POS- oder Store-Expansion hat mit zunehmenden Kanal-Shift ohnehin ausgedient. Die Flächenproduktivität der größeren Fashionspieler war in Deutschland laut Analysen von EY-Parthenon in den letzten Jahren vor Corona im Durchschnitt schon um knapp 3 Prozent rückläufig. Es gab zwar immer wieder Unternehmen, die es dennoch über physische Präsenz probiert haben – doch sahen sich diese relativ häufig bereits vor der Krise im Prozess einer oft schmerzhaften Portfoliobereinigung.
In mittelfristig wieder gesättigten bis schlechtestenfalls rückläufigen Märkten stellt sich für Fashion-Spieler als nächstes die Frage nach den Wachstumshebeln. Das bis in die 2000er-Jahre probateste Mittel der POS- oder Store-Expansion hat mit zunehmenden Kanal-Shift ohnehin ausgedient.
Aktuell funktioniert die Investition in den Gewinn von Online-Marktanteilen noch deutlich besser. Aber auch hier erleben kleinere Direct-to-Consumer-Anbieter (DTC) und Digitally-Native Vertical Brands (DNVBs), dass sowohl Kundenakquisitionskosten als auch Streuverluste zunehmen und nicht immer grenzkostenpositiv sind. So sind laut Digitalagentur Skai die Kosten für Suchanzeigen in den letzten Jahren um jährlich 3 Prozent und für Social Media um 6 Prozent gestiegen – mit zum Teil deutlich abnehmender Kampagneneffektivität (allein seit 2018 eine Halbierung bei Social Media). Interessanterweise beginnen DTC-Anbieter aus ebendiesem Grund Stores zu eröffnen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Der zweite Ansatz, Wachstum über Warendruck und immer schnellere Zyklen zu forcieren, zeigte ebenfalls bereits vor der Krise klare Limitationen. Diese offenbarten sich in Bestands- und Restantenproblemen, stetig steigenden Abschriftenhöhen und zunehmenden Fragen zur Nachhaltigkeit. Die zusätzlichen, krisenbedingten Verwerfungen in Beständen und Lieferketten werden diese Themen in den nächsten Saisons auch so schnell nicht von der Agenda nehmen – bei immer kritischeren Fragen dazu, wie förderlich solches Verhalten für den Planeten ist.
Was also tun, wenn Wachstum über Offline- und Online-Expansion nur für die wenigsten Händler rentabel ist und hochfrequenter Warendruck zunehmend auf regulatorische Limits und Unverständnis der Kunden trifft?
Von Kanalprioritäten, Portfolio-Spielen und Managing for Profit
Ein erster Schritt wird für viele Händler die grundsätzliche Frage nach dem realistischen Umsatzpotenzial:
- im gegebenen Kanal- und Formatmix,
- im existierenden Leistungsversprechen
- und bei gegebener Markenstärke sein.
Dies erfordert sicherlich die Beantwortung der Relevanz-Frage aus dem vorhergehenden Kapitel. Aber darüber hinaus müssen sich Fashion-Akteure drei weiteren Themen widmen:
Als erstes sollte jedes Unternehmen komplette Transparenz über die Kundenakquisitions- und -bindungskosten in den Kanälen und über die Kanäle hinweg haben. Denn Kern für Wachstum wird die Frage sein, welche Kundenausschöpfungspotenziale sich in welchem Kanal noch bieten – und welche Rollen den Kanälen in diesem Zusammenhang obliegen. Für viele Händler wird diese Übung eine deutliche Verschiebung der Investitionsprioritäten zwischen den Kanälen bedeuten. Wenn Kundenprofitabilität zur wesentlichen Kennzahl für Wachstumsinvestitionen wird, zieht das für viele Händler und DTC-Marken eine Transformation zu einer Online-First-Strategie nach sich. Dies mit klarer Rollenverteilung zwischen den Kanälen, in denen dem Online-Kanal Funktionen wie Personalisierung, systematische Kunden(re)aktivierung und Aufbau von Kundenwissen zufallen und sich der Offline-Kanal stärker auf (Sinnes-)Erlebnis, Markenbegegnung, persönliche Ansprache und Service fokussiert.
Wenn Kundenprofitabilität zur wesentlichen Kennzahl für Wachstumsinvestitionen wird, zieht das für viele Händler und DTC-Marken eine Transformation zu einer Online-First-Strategie nach sich. Dies mit klarer Rollenverteilung zwischen den Online- und Offline-Kanälen.
Mit der stärkeren Aufgabenteilung zwischen den Kanälen wird sich auch jedes Filialportfolio noch einmal neu in Schließungs- beziehungsweise Erhaltungskandidaten und Formatrollen aufteilen – und zwar entlang des messbaren Beitrags zu Kundenakquisition und -bindung.
Zudem wird Kundenausschöpfung neuen Leitlinien folgen müssen. Dies wird vor allem für die Spieler herausfordernd, die zu klein für die Dominanz eines Plattformspiels sind und zu groß für die spitze Nische. Für diese Unternehmen stellt sich eher die Frage, inwieweit Wachstum nicht zunehmend ein Marken- oder Proposition-Portfolio-Spiel werden muss, das heißt eine Abfolge immer neuer separater Marken-Lebenszyklen. Klar abgegrenzt behalten diese – gutes Markenmanagement einmal vorausgesetzt – Relevanz und klare Positionierung und können gleichzeitig über gemeinsame Infrastrukturinvestitionen effizienter und kostengünstiger expandieren. Anstatt eine Marke zunehmend zu überdehnen, wären solche Marken-Portfoliomanager in der Lage, hinreichende Größe und Investitionskraft mit hoher Innovation zu verbinden. Dies kann zu einer Zukunft führen, in der Fashion-Zyklen nicht mehr innerhalb von Marken, sondern über kürzere Lebenszyklen ganzer Marken stattfinden – wie heute schon ansatzweise im Bereich Beauty anzutreffen.
In jedem Fall erfordert die Entscheidung für geeignete Wachstumstreiber eine realistische Einschätzung der eigenen Stärken und Möglichkeiten. Es wird Händler und Hersteller geben, bei denen aufgrund fehlender Markenstärke, erodierter Relevanz oder verpasster Kanalentwicklung keine der obigen Optionen mittelfristig rentabel sein wird und eine Schrumpfung auf den profitablen Kern die einzig richtige Antwort ist.
Kapitel 3
Vom Werbebotschaftsadressaten zur Gesprächspartnerin
Kunden werden von Empfängern von Markenbotschaften zu deren Mitgestaltern.
Mit der Digitalisierung und speziell durch Social Media mussten sich nicht nur Fashion-Marken an einen sehr aktiven Feedbackkanal von Konsumenten gewöhnen. Bestimmten Unternehmen vormals ihr Markenimage üblicherweise per Broadcast-Medien überwiegend selbst, reden jetzt unzählige Konsumenten, Follower und Influencer mit. Diese beeinflussen Markenwahrnehmung und Präferenzen anderer Konsumenten – und damit das Ansehen und in Folge auch das Verhalten von Marken. Der Shitstorm mag das am häufigsten zitierte dieser Phänomene sein, aber die aktive Kommunikation von Kundenseite aus hat natürlich weit mehr Facetten. Insbesondere jüngere Konsumentengenerationen haben zudem den Anspruch, von Marken nicht nur umfangreich informiert, sondern in ihren Bedürfnissen und Anregungen gehört zu werden – und sind sich ihres Einflusses auf Markenverhalten und -kommunikation auch deutlich bewusst.
Das Feedback der Kunden gibt es zu jedem Aspekt einer Marke – sei es von Purpose, Vision, Mission über das komplette Leistungsversprechen wie Produkt, Preis, Services oder Kanäle bis hin zu ESG-Themen. Und die Reaktion von Marken auf diese Einwürfe bestimmen das Kaufverhalten: Im letzten EY Future Consumer Index aus dem Juni 2021 stimmten zum Beispiel 73 Prozent der Befragten der Aussage zu, Marken hätten die Verpflichtung, zu positivem Wandel in der Welt beizutragen, und 77 Prozent forderten Transparenz von Marken über deren sozialen Einfluss.
EY Future Consumer Index
77 %der Befragten fordern Transparenz von Marken über deren sozialen Einfluss.
Die meisten Unternehmen haben längst auf die kommunikative Herausforderung reagiert und Online-Kommunikation, Social-Media-Betreuung oder Customer Communities aufgebaut. Oft beschränkt sich die Aktivität aber auf die Moderation und positive Verstärkung von Beiträgen. Innovative Unternehmen gehen einen Schritt weiter und steigen in einen echten Dialog mit ihrer Zielgruppe ein. Diesen nutzen sie für die Bestimmung von Absatzmengen, die Verbesserung von Elementen des Leistungsversprechens oder für das Testen neuer Produkte. Erste Marken haben dazu eigene Produkttest-Seiten und Feedback-Communities aufgebaut. Vorreiter waren vielfach die sogenannten DNVBs, die als Marken den permanenten und engen Austausch mit ihren Followern systematisch zur Produktentwicklung nutzen. Aber mittlerweile sind auch große Konsumgütermultis in den aktiven Dialog mit Konsumenten-Communities eingestiegen.
Customer Centricity geht in eine neue Runde: Vom abstrakten Lernen aus Daten und algorithmischer Mustererkennung hin zum direkten Dialog mit den Konsumenten – gerne auch in Kombination.
Customer Centricity geht damit in eine neue Runde: Vom abstrakten Lernen aus Daten und algorithmischer Mustererkennung hin zum direkten Dialog mit den Konsumenten – gerne auch in Kombination.
Kundenfeedback: Lernen aus den richtigen Quellen zum richtigen Zweck
Die Herausforderung besteht also nicht darin, grundsätzlich Feedback zu bekommen (davon wird es immer reichlich geben), sondern dieses Feedback für die eigene Weiterentwicklung nutzbar zu machen. Eine weitere Herausforderung: Die interne Skepsis zu überwinden, Kundenfeedback grundsätzlich zuzulassen.
Die erste Frage ist, wie und über welche Wege der Dialog mit den Konsumenten so gestaltet werden kann, dass er hilfreichen und verwertbaren Input generiert. Der am häufigsten genutzte Kanal sind sicherlich die diversen Social-Media-Plattformen. Doch zunehmend nutzen Marken auch direkte Einladungen, VIP Clubs oder speziell dafür geschaffene Plattformen samt Anreizsystemen, um regelmäßig Feedback, Meinungen und Beurteilungen zu beispielsweise neuen Produkten oder Features einzuholen. Dabei ist das gute alte Kundengespräch alles andere als tot – technisch aufgerüstet in Form von Social Selling oder über Mitarbeiter-Apps, die persönlich gegebenes Feedback erfassen und konsolidieren können, bleibt der Kanal sehr wichtig.
Die zweite Frage ist die nach dem Inhalt des Feedbacks. Welcher Input ist für die Marke beziehungsweise den Händler wertvoll? Klarer Favorit sind alle Informationen, die Nachfrageprognosen verbessern und damit Bestandsrisiko reduzieren. Dies ist auch zentraler Inhalt von Input zur Produktentwicklung. Dort geht es nicht darum, die Kundschaft selbst designen zu lassen (das wollen weder Designer noch Konsumenten!), sondern vielmehr darum, Präferenzen und damit Absatzwahrscheinlichkeiten möglichst vor Produktions- und Bestandsverpflichtungen einschätzen zu können. Aber auch Input zu Produktfeatures oder Elementen des Leistungsversprechens können wertvolle Hinweise zu laufender Angebotsverbesserung oder besserer Personalisierung geben.
Wie Kundenfeedback systematisch in interne Prozesse einfließt, ist dann der nächste Schritt. Der Aufbau agiler „Test & Learn“-fähigen Organisationen ist hier sicherlich zentral, damit der Input weder versandet noch zu erratischen Ausschlägen führt.
Ist ein Unternehmen in der Lage, einen solchen Zirkel dialogbereiter Kunden aufzubauen, geht das Hand in Hand mit dem Aufbau echter Fans oder Brand Ambassadors. Im Gegensatz zu reinen Weiterempfehlern, die auch schon positive Multiplikatoren des Markenimages sind, sind Kunden, die aktiv mit der Marke in Dialog treten, loyaler und ausgabefreudiger. Ähnliches zeigt auch das jährliche EY-Parthenon Performance Ranking. Echte Fans von Händlern geben diesen die höchsten Werte für Vertrauen, welches wiederum den höchsten Erklärwert für die Gesamtbewertung der Händler hat.
Im Gegensatz zu reinen Weiterempfehlern, die auch schon positive Multiplikatoren des Markenimages sind, sind Kunden, die aktiv mit der Marke in Dialog treten, loyaler und ausgabefreudiger.
Konsequente Customer Participation hat überdies schon neue Geschäftsmodelle hervorgebracht. Diese übersetzen das traditionelle Vororder-Modell modernisiert in die DTC-Welt. Solche Marken produzieren erst, wenn sich genug Konsumenten finden, die einen (meist online) vorgestellten Style kaufen würden – auch wenn die Lieferzeit entsprechend ein paar Wochen dauert. Diese On-demand-Modelle vermeiden nahezu jede Form von Überbestand oder Abschriften und punkten zudem auch im aktuellen Thema Nachhaltigkeit. Die Voraussetzung für den Erfolg solcher Modelle sind eine gute Kundeninteraktion, eine treue Fan-Basis und eine flexible, schnelle Produktion. Damit eignen sich diese Modelle nicht für Discount oder Fast Fashion – aber für Marken und Formate, die solche innovativen Strategien tragen können, eröffnen sich neue Optionen in Customer Centricity.
Kapitel 4
Long Term Value: Mehr als nur Gewinn für Stakeholder schaffen
Wie steht es um Nachhaltigkeit, Diversität oder Fairness in der Fashion-Branche?
Mit Long Term Value meinen wir einen Themenkomplex, der weit über das übliche Thema Nachhaltigkeit hinausgeht. Long Term Value bedeutet, als Unternehmen, als Marke, als Fashion-Brand eine klare Positionierung zu gesellschaftlichen, umweltpolitischen und unter Umständen sogar politischen Themen im weiteren Sinn einzunehmen. Damit werden die eigenen Werte nicht nur klar definiert, sondern als Unternehmen gelebt. Das mag auf den ersten Blick etwas befremdlich klingen. Sollen Unternehmen nicht in erster Linie Gewinne schreiben? Ja, aber nicht nur. Geld verdienen allein wird bald kein Selbstzweck mehr sein. Vieles deutet darauf hin, dass gerade die Fashion- und Lifestyle-Branche bezüglich Nachhaltigkeit und gesellschaftlichem Einfluss zwar unter Zugzwang steht, sich aber in der Pole Position befindet, eine Vorreiterrolle einzunehmen.
Long Term Value: der neue Imperativ
Weshalb ist es ein Muss, sich um Long Term Value zu kümmern? Ein großer Aspekt sind Umwelt und Klima. Die Fashion-Branche steht als gewichtiger Verursacher von CO2-Emissionen besonders stark in der Kritik. Gerade Fast Fashion und die stetige Angebotsausweitung sind die Wurzel des Übels. So hat sich etwa in den letzten fünf Jahren die Anzahl produzierter Kleidungsstücken verdoppelt, bei gleichzeitig stark gefallener Nutzungsdauer pro Kleidungsstück. Einige Umfragen, so auch der EY Future Consumer Index, zeigen, dass Nachhaltigkeit immer stärker in das Bewusstsein der Kunden tritt. So geben etwa in der EY-Umfrage über 50 Prozent der Befragten an, stärker auf die Umweltauswirkungen ihres Konsums zu achten. Klar – Umfragen alleine bedeuten nicht, dass demnächst nur noch nachhaltige Produkte gekauft werden. Wenn dem so wäre, wären die Fast-Fashion-Anbieter längst nicht mehr im Geschäft.
EY Future Consumer Index
50 %der Befragten gaben an, stärker auf die Umweltauswirkungen ihres Konsums zu achten.
Dennoch deuten einige Anzeichen darauf hin, dass das Thema Nachhaltigkeit auch verstärkt marktrelevant ist. So gibt es etwa einige spezialisierte Brands, die viel schneller wachsen als der Markt – von veganen Sneakers und Accessoires bis hin zu den „Made in Germany/ France, …“-Brands ist hier alles dabei. Dabei fällt auf, dass diese oft jungen Marken in wenigen Jahren Umsätze um die 20 bis 50 Millionen Euro erzielen konnten und das Thema Nachhaltigkeit jung, trendy und chic bedienen. Ebenfalls gibt es einige Secondhand-Formate, die sich wachsender Beliebtheit, Nutzerzahlen und Umsätze erfreuen. Auch die Investoren glauben an den Markt: In den letzten Jahren wurde seitens Geldgebern und großen Häusern erhebliche Summen in den Secondhand-Markt investiert – und werden es nach wie vor. Gerade durch die Generation Z, die Trends setzt, hat sich das Thema Secondhand aus der Brockhaus-Ecke zum Trendsetting bewegt.
Hinzu kommt ein wachsender Druck seitens Regulatoren und Finanzierer. Vor allem Themen wie das Lieferkettengesetz befeuern die politische Debatte um Nachhaltigkeit und Verantwortung der Unternehmen. Allerdings kommt der Druck auch von Finanzierungsseite – so gibt es vermehrt Private-Equity-Investoren und Kreditgeber, die Nachhaltigkeitskriterien bei der Kreditvergabe anwenden.
Ebenfalls gibt es einige Secondhand-Formate, die sich wachsender Beliebtheit, Nutzerzahlen und Umsätze erfreuen. Auch die Investoren glauben an den Markt: In den letzten Jahren wurde seitens Geldgebern und großen Häusern erhebliche Summen in den Secondhand-Markt investiert – und werden es nach wie vor.
Exponierte Fashion-Branche
Neben dem Thema Nachhaltigkeit rückt auch das Thema Diversität immer stärker in den Vordergrund. So bestehen die Casts der globalen Modehäuser nicht mehr nur aus „Skinny White Models“, sondern zeigen Diversität und Inklusion. Einige Häuser haben aus Fehlern lernen müssen, etwa aus peinlichen Fehltritten und fehlendem Fingerspitzengefühl, was öffentlichen Zorn nach sich zog. Andere konnten sich durch eine frühe, geschickte Besetzung des Themas profilieren. Weshalb aber steht gerade die Modebranche so stark unter Druck, was die Themen Nachhaltigkeit, Fairness, Diversität und Inklusion betrifft? Klar ist, dass die Fashion-Branche von globaler Wichtigkeit in punkto Arbeitsplätze und Investitionen ist. Das trifft allerdings auch für viele andere Branchen zu. Mode aber ist mehr als „Business only“. Sie verkörpert auch Träume und bietet gleichzeitig ein Spiegelbild der Gesellschaft. Fashion steht für Identitäten und Zugehörigkeit und ermöglicht, dass gesellschaftliche Trends und Subkulturen wortwörtlich zum Vorschein treten und gesehen werden. Gerade weil Fashion auch Teil unserer Kultur und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ist, hat die Branche die Chance und die Pflicht zugleich, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen.
Realitäts-Check fällt ernüchternd aus
Was zeigt uns der nüchterne Blick auf die Branche? Der Fortschritt fällt insgesamt noch verhalten aus. Klar gibt es einige Vorzeigefirmen, die über viele Dimensionen hinweg engagiert sind und ihr Geschäft konsequent an ihrem Wertekompass ausrichten. Ebenfalls gibt es Vorreiter, die aus einem starken Engagement heraus geboren wurden und entsprechend konsequent ausgerichtet sind. Dies können Brands oder innovative Start-ups sein, die sich auf einen Bereich, beispielsweise Nachhaltigkeit, fokussieren. Generell sind in der Textilindustrie jedoch selten etablierte Akteure anzutreffen, die die verschiedenen Dimensionen (Nachhaltigkeit, Fairness, Diversität, Inklusion, etc.) umfassend betrachten, konkrete Ziele und Maßnahmen definiert haben und darüber Transparenz schaffen. Gerade im Bereich Sourcing und Produktion wird zwar oft und gerne „Claiming“ betrieben, aber es bleibt für die Konsumenten schwierig, sich vollumfassend zu orientieren und die Informationen einzuordnen.
Generell steht die Fashion-Branche noch am Anfang. Aktuell befinden sich die Unternehmen unter Zugzwang, mehr Transparenz und klar formulierte Ziele und Maßnahmen zu entwickeln. Insbesondere aufgrund des steigenden Drucks der öffentlichen Meinung und der Konsumenten besteht Zuversicht, dass die vielfach gestarteten Initiativen in den nächsten fünf bis zehn Jahren konkreter werden und tiefgehende Veränderung bringen. In einer idealen Welt wird der Punkt erreicht, an dem Long Term Value eine Notwendigkeit für die Geschäftsgrundlage ist und nicht durch geschicktes „Claiming“ umschifft werden kann.
Fazit
COVID-19 hat die Fashion-Branche hart getroffen. Gleichzeitig bieten sich aber in Zeiten des Wandels Chancen für die Mutigen. Modehersteller, die konsequent an ihrer Markenrelevanz arbeiten, neue Wachstumstreiber identifizieren, vom Kunden lernen und in Long Term Value investieren, werden wahrscheinlich gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen.
So hat die Pandemie den Trend zur Digitalisierung, vor allem im Onlinehandel, beschleunigt. Auch das veränderte Konsumverhalten insbesondere bei der jungen Generation setzt die Fashion-Branche unter Druck, sich immer wieder neu zu erfinden. Der Kunde von morgen erwartet von seinem Mode-Label eine allumfassende Informationstransparenz – vom Preis über die Qualität bis hin zur Produktherkunft.