Händler, die schon vorher gut online positioniert waren, zählen zu den deutlichen Siegern aus Kundensicht. COVID-19 wurde für die Unternehmen entweder zum Ritterschlag ihrer bisherigen Aktivitäten – oder zum Todesstoß für halbherzige Digital-Angebote.
Beispiele für Aufsteiger im Textilbereich sind Breuninger, Zara und About You, und Zalando ist zurückgekehrt. Deichmann, Reno, s.Oliver und Esprit dagegen fallen weiter zurück und auch Bonprix konnte die Online-Chance der Pandemie nicht nutzen. 123gold ist bei den Juwelieren ein Sprung nach vorne gelungen, im Beauty-Bereich befindet sich eine bekannte Parfümeriekette weiter unter Druck.
Im Lebensmitteleinzelhandel ist der Erfolg aus Kundensicht von REWE bemerkenswert. Als einziger stationärer Händler mit Online-Lieferangebot versucht das Unternehmen auch, den Wocheneinkauf junger Familien neu zu gestalten. EDEKA fehlt ein solches eigenes Angebot, das Unternehmen ist aber an der neu geschaffenen Marke Picnic beteiligt und stellt deren Warenversorgung sicher. In der Folge haben beide Unternehmen ihre Plätze im Ranking getauscht. Darüber hinaus sorgen vor allem neue Angebote wie beispielsweise Schnelllieferdienste für hohen Innovationsdruck. Auch sie kämpfen um Marktanteile, wenn auch bisher noch mit anderen Nutzungsszenarien – das kann sich aber schnell ändern.
Diese Branche ist nicht die einzige, die bisher eher stationär geprägt und ohne starkes Online-Leistungsangebot aufgestellt war, in der Corona aber möglicherweise zu einer Wachablösung geführt hat: Bei Möbeln attestieren die Kundinnen nun einem Online-Möbelhändler bessere Werte als dem Preis-Champion XXXLutz, bei Non-Food-Discountern war bisher Action sehr erfolgreich, nun aber scheint es dem Unternehmen an einem klaren Online-Versprechen zu mangeln.
Wer gewann: Branchen ohne Lockdownfrust
Besonders häufig stellen die Kunden Händlern aus Branchen, die eher wenig von den Corona-Maßnahmen betroffen waren, nun ein besseres Urteil aus. Baumärkte / Gartencenter, Möbelhäuser und Non-Food-Discounter konnten von der Krise nicht nur finanziell, sondern auch im Performance-Ranking profitieren.
Dagegen sank die Gesamtzufriedenheit in Branchen, wenn diese beispielsweise häufiger schließen oder ihre Zutrittsregeln anpassen mussten oder das Einkaufserlebnis aufgrund der Corona-Verordnungen massiv gelitten hat. Die Zeit nach der Pandemie wird zeigen, ob diese Verschiebungen in der Wahrnehmung der Kundinnen von Dauer sind.
Wem online wichtig ist: Einkommen und Alter zählen
Der Anteil von Online-Käufen ist besonders in einkommensstärkeren Klassen noch weiter gestiegen und gerade dort sind die digitalen Fähigkeiten aus Kundensicht noch wichtiger geworden. Durch ausgebliebene Urlaube entstanden sogar zusätzliche Budgets für Produkte im Handel, wie beispielsweise für Renovierungen oder persönlichen Luxus.
Bei einkommensschwächeren Kunden, die oft auch härter durch Kurzarbeit und Entlassungen während der Pandemie getroffen wurden, ist der Preis weiterhin ein wichtigeres Kriterium als in anderen Bevölkerungsgruppen.
Jüngere sehen anders als früher auch das Digitale längst als Inspirationskanal. Die Formel, sich im Geschäft Anregungen zu holen, um dann daheim zu bestellen, gilt so nicht mehr.
Auffällig sind auch Unterschiede in der Bedeutung von Online-Fähigkeiten unter den Altersgruppen: Auch Ältere haben während der Pandemie stärker im Netz eingekauft. Sie legen besonders Wert auf den Teilaspekt Convenience und für sie ist der Online-Kanal eher auf die reine Transaktion beschränkt. Für jüngere Konsumenten muss online verstärkt eine ganz andere Art der Inspiration geboten werden – Bekleidung wird in Lookbooks nicht einzeln, sondern als komplettes Outfit gezeigt oder Möbel stehen in vollständig eingerichteten Räumen statt einzeln fotografiert auf den Webseiten.
Was jetzt zu tun ist: Die Post-Pandemie-Strategie für die eigene Branche finden
Das aktuelle Performance-Ranking hat damit nicht nur erneut die Herausforderungen in einzelnen Branchen offengelegt, sondern auch grundsätzlich unterstrichen: Ohne ein starkes Digitalangebot geht es in keiner Branche mehr. Wer dachte, diesen Wandel noch herauszögern zu können, wurde durch die Pandemie überrascht.
Welche digitalen Leistungsversprechen und Kundenerwartungen erfüllt werden müssen, unterscheidet sich aber von Branche zu Branche und Kunden im Textilhandel legen auf andere Aspekte wert als Käufer von Lebensmitteln oder in Baumärkten. Hinzu kommt, dass in vielen Bereichen noch unklar ist, welches Versprechen und Geschäftsmodell für die Kundinnen besonders wichtig ist, beispielsweise ob die Schnelllieferdienste im Lebensmitteleinzelhandel langfristig Kunden überzeugen (und profitabel agieren können).
Weiter in die Zukunft gedacht, wird womöglich die digitale Transformation weit über einen rein digitalen Verkaufskanal hinausgehen, wenn Bots und Apps Kaufentscheidungen übernehmen.
Auch wenn das noch Zukunftsmusik ist, gilt es aber schon jetzt für die Handelsunternehmen, die besonders wichtigen Teilaspekte der Digitalisierung in den jeweiligen Branchen zu identifizieren und diese entlang ihrer eigenen Stärken zu interpretieren. Erfolgreiche Go-to-Market-Strategien müssen deshalb sowohl branchenspezifisch als auch mit Blick auf die digitalen Erwartungen der Kunden formuliert sein – eine Traditionsmodemarke mit älterer Zielgruppe wird eher Schwerpunkte auf das Thema Sichtbarkeit der Produkte und einen reibungslosen Einkaufsprozess setzen müssen, als Marken mit Teenager-Käufern, die wie oben beschrieben eine ganz andere Art der Inspiration bieten müssen (z.B. über die Darstellung ganzer Looks oder Produkte im Sortimentszusammenhang).
Fazit
Das neueste EY-Parthenon-Performance-Ranking zu den deutschen Top-100-Händlern zeigt, dass sich Investitionen in digitale Fähigkeiten auszahlen. Reine Onliner liegen zwar immer noch häufig vorne, Händler mit stationärer Herkunft haben aber „digital“ an Boden gewonnen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Wer vorher bereits stark online unterwegs war, hat in der Kundenbewertung noch einmal zugelegt – wer schon vorher digital nicht klar positioniert war, dessen Probleme sind nun noch weiter gewachsen.