18 Minuten Lesezeit 14 Dezember 2021
Moderne automatisierte Autoproduktion in einer Fabrik

Wie Automobilzulieferer den Umbruch durch Elektrofahrzeuge in vier Schritten bewältigen können

Autoren
Brad Hehl

Partner, Strategy and Transactions, Ernst & Young LLP

Strategic advisor for the automotive and mobility industries. Focused on developing high-performing teams. Avid golfer. Family man.

Joern Buss

EY-Parthenon Partner, Advanced Manufacturing and Mobility, Ernst & Young LLP

International experienced executive advisor. Focused on strategic growth, product technology, transformation, turnaround. Supports manufacturing and mobility companies, private equity and investors.

Abhi Ahuja

EY US Supply Chain and Transactions Senior Manager

Experienced M&A and value creation advisor. Focus on CP&R and Diversified Industrials. Proud father of two girls. Automobile enthusiast. Traveler. Foodie.

Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

Kevin Rebbereh

Director, Automotive Strategy, EY-Parthenon GmbH

Tech and auto enthusiast. Builds new concepts, promotes innovation and develops best practices. Endurance athlete and family man. Sees entrepreneurialism as a team sport.

18 Minuten Lesezeit 14 Dezember 2021

Jetzt getroffene Entscheidungen zur Kapitalallokation und zur Geschäftsstruktur sind entscheidend für den Erfolg von Automobilzulieferern, die sich im Wandel befinden.

Überblick
  • Der Übergang zu Elektrofahrzeugen vollzieht sich viel schneller als erwartet, sodass sich viele Automobilzulieferer schwertun, darauf zu reagieren.
  • Eine kluge Kapitalallokation und organisatorische Flexibilität können den Automobilzulieferern helfen, sich auf den Übergang zur Elektromobilität vorzubereiten.
  • Die von EY entwickelten strategischen Optionen können Unternehmen helfen, ihr Produktportfolio neu zu positionieren und die Gesamtrendite für ihre Aktionäre zu steigern.

Angetrieben durch die weltweiten Bemühungen um die Entwicklung nachhaltiger Energielösungen und die von den Kunden geforderte Dekarbonisierung zeichnet sich in der Automobilindustrie ein Strukturwandel ab, der schneller vonstattengeht, als viele zuvor erwartet hatten. Die USA haben sich zum Ziel gesetzt, dass bis 2030 die Hälfte der dort verkauften Fahrzeuge Batterie-, Brennstoffzellen- oder Plug-in-Hybrid-Antrieb haben.1 Auch in anderen Teilen der Welt ist der Übergang zur Elektromobilität weit fortgeschritten, wie die Angebote der Automobilhersteller, die staatliche Gesetzgebung und die Verbraucheranreize zeigen. Einige Autobauer haben sich während der 26. UN-Klimakonferenz (COP26) auf neue Ziele geeinigt.2

Mehr Sicherheit und umweltfreundlichere, vernetzte und autonome Fahrzeuge erfordern mehr Software, und ihre elektrische und elektronische Architektur muss anders gestaltet werden. Einige herkömmliche Hardwarekomponenten wiederum werden entweder überflüssig oder stehen kurz vor einer „Kommodisierung“.

EY hat kürzlich mehr als ein Dutzend Führungskräfte von Automobilzulieferern aus der ganzen Welt zu den Veränderungen in der Branche befragt. Die Mehrheit von ihnen befand, dass die Unternehmen jetzt mit der Planung für den Wandel beginnen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, gegenüber der Konkurrenz den Anschluss zu verlieren.

„Die Elektrifizierung hat bereits begonnen. Der Zug hat so stark an Fahrt gewonnen, dass es fast unmöglich ist, noch auf ihn aufzuspringen, wenn man nicht bereits drin sitzt“, meinte der CEO eines diversifizierten Anbieters von Automobilkomponenten aus Europa kürzlich in einem Gespräch mit uns.3

Die Umstellung auf Elektromobilität eröffnet neue Chancen für Automobilzulieferer, erfordert aber eine sorgfältige Planung

Die Veränderungen in der Branche bieten den Automobilzulieferern eine große Chance, ihr Geschäft neu zu gestalten und ihre Geschäftsmodelle zu modernisieren.

So wird beispielsweise der Übergang zur Elektromobilität dazu führen, dass sich mit herkömmlichen Komponenten für Verbrennungsmotoren nicht solche Gewinne erzielen lassen wie mit Modulen und Systemen für Elektroantriebe. Noch deutlicher wird dieser Umstand dadurch, dass ein Verbrennungsmotor etwa 2000 bewegliche Teile hat, der Antrieb von Elektrofahrzeugen dagegen oft nur 20.4 Um aus dieser Entwicklung Profit zu schlagen, müssen einige Zulieferer in Modernisierung und Aufrüstung investieren.

Der zusätzliche Gewinn, der mit neuen Komponenten, Modulen und Systemen oder durch die notwendige Modernisierung und Aufrüstung erzielt werden kann, könnte die Verluste um das Doppelte übersteigen. Untersuchungen von EY zeigen, dass bis 2030 etwa 40 % des Kostenanstiegs kompensiert werden könnten – vor allem durch eine deutliche Senkung der Batteriekosten.5

Dabei ist es wichtig zu wissen, dass der Motor nicht mehr das Herzstück eines Autos sein wird, sondern vielmehr eine zentrale Verarbeitungseinheit, die von verschiedenen Softwareanwendungen gesteuert wird. Durch autonome Fahrzeuge kann sich der Wert der Software auf etwa das Fünf- bis Sechsfache steigern. Laut unseren Studien werden sich durch diese disruptiven Veränderungen in der Fahrzeugarchitektur bis zum Jahr 2030 die Wertschöpfungs- und Gewinnquellen stark verschieben,6 sodass Autobauer und Lieferanten ihre Geschäftsmodelle unter Berücksichtigung verschiedener realistischer Zukunftsszenarien überdenken müssen.

Die Zukunft vorherzusagen ist eine äußerst komplexe Aufgabe. Der Wandel wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst, die sich je nach Region unterscheiden und sich oft gegenseitig beschleunigen oder abschwächen. EY hat mehrere Szenarien entwickelt, um die technologischen Veränderungen in der Zukunft abzuschätzen.

Künftige Fahrzeugarchitektur unter dem Einfluss disruptiver Technologietrends

Prognosen zur technologischen Entwicklung bis 2030

In einem Szenario, das wir für sehr wahrscheinlich halten, gehen wir von einem relativ robusten Wachstum der Weltwirtschaft und einem Anhalten der Trends der Urbanisierung und des Bevölkerungswachstums aus – mit weiterhin unterschiedlichen Entwicklungen auf regionaler Ebene.

In diesem Fall dürften Elektrofahrzeuge weiter an Bedeutung gewinnen. In den Industrieländern und China werden die Regierungen wohl mehr Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Fahrzeugflotten ergreifen. Auch umweltbewusstere Kunden könnten die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen steigern, zumal die Kosten für Batterien und generell für die Haltung sinken werden. Zu beachten ist, dass diese Annahmen auf aktuellen Subventionen und staatlichen Programmen zur Förderung von Elektromobilität beruhen, die möglicherweise geändert oder eingestellt werden.

Aufgrund der zunehmenden Bereitschaft der Kunden, grundlegende Daten für fortschrittliche Analyseangebote und die damit verbundene Simulation von Daten freizugeben, sowie der Tatsache, dass die Automobilhersteller zunehmend die Bedeutung von Partnerschaften mit Drittanbietern erkennen, dürften einige zusätzliche Connected-Car-Funktionen mit höherem Kundennutzen und Monetarisierungsoptionen auf dem Markt eingeführt werden.

Autonome Fahrzeuge werden ein Nischenprodukt bleiben, das weitgehend auf hochautomatisierten Funktionen beruht und nur in bestimmten, abgegrenzten Bereichen eingesetzt wird. Die regionalen Unterschiede werden erheblich bleiben. Beim Carsharing und Fahrdiensten wie Uber wird sich die positive Dynamik weltweit fortsetzen, wobei die Durchdringung der einzelnen Regionen unterschiedlich ausfallen wird. Ihre zunehmende Beliebtheit wirkt sich jedoch nur geringfügig auf die Neuzulassungen aus. Geeignete Transportfahrzeuge, die auf bestehenden Plattformen basieren, werden bis 2030 an Bedeutung gewinnen.

Profit-Pool-Prognose nach wichtigen Fahrzeugsystemen 2021-2030, Segment Leichtfahrzeuge

Heute werden etwa 25 % der Gewinne mit Komponenten für Verbrennungsmotoren erwirtschaftet, die bis 2030 am stärksten vom Wandel betroffen sein werden. Zu rechnen ist mit einem Rückgang um 50 %. Dies bedarf einer schnellen und gut koordinierten strategischen Neuausrichtung, begleitet von förderlichen Maßnahmen seitens der Politik.

Automobilhersteller und Zulieferer haben die bedeutenden Auswirkungen auf die künftige Fahrzeugarchitektur erkannt und investieren kräftig in neue Wachstumsbereiche. Einige haben bereits ihre Angebote für Verbrennungsmotoren gestrafft, andere haben Geschäfte ausgegliedert und verwalten sie nun getrennt. Für die Kapitalallokation kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht, darunter Investitionen in eigene Kapazitäten, Übernahmen, Ausgliederungen und Joint Ventures. Hier einige Beispiele:

  • Ein europäischer Lieferant investierte in einen Hersteller von Wasserstoffspeichersystemen, ein anderer erwarb einen Batteriehersteller und ein weiterer Global Player plant, allein in den nächsten vier Jahren über 1 Milliarde Euro in Brennstoffzellentechnologien zu investieren.
  • Ein global tätiger Tier-1-Lieferant hat kürzlich ein Unternehmen übernommen, das sich auf fortschrittliche Fahrassistenzsysteme für Lastwagen spezialisiert hat.
  • Ein großer amerikanischer Automobilzulieferer gliederte seine Turbolader-Sparte aus, während sich ein anderes US-Unternehmen in zwei getrennte Einheiten aufspaltete – eine mit Schwerpunkt Elektronik und eine für Antriebslösungen. Ein anderes europäisches Unternehmen spaltete seine Antriebssparte ab und plant derzeit seinen Börsengang.

Vier Schritte, die Unternehmen für ihre strategische Transformation ergreifen können

Auch wenn die Zeiten der Rekordverkäufe von Verbrennungsfahrzeugen der Vergangenheit angehören, kann mit herkömmlichen Komponenten immer noch langfristiger Wert geschaffen werden, wenn das Geschäftsmodell, die Organisation und die Prozesse richtig gestaltet sind.

Die Zulieferer müssen einen Balanceakt vollführen: Zum einen müssen sie die Geschäfte für Verbrenner vorantreiben, zum anderen müssen sie ihre Investitionen für neue Elektrofahrzeugkomponenten und verschiedene andere neue Schlüsseltechnologien wie z. B. Software steigern. Über den Erfolg entscheiden das richtige Timing und die nötige Durchsetzungskraft. Für die Unternehmen geht es zunächst um Folgendes:

  • Definition der strategischen Ziele
  • Festlegung der künftigen Geschäftsfelder und Angebote
  • Entwicklung von Betriebsmodellen
  • Umsetzung der Strategie

Schritt 1: Definition der strategischen Ziele

Entscheidend ist, ob nur eine oder mehrere Strategien parallel verfolgt werden sollen, um das Unternehmen für die neuen und die alten Geschäftsfelder aufzustellen oder Letztere gegebenenfalls mit der Zeit aufzulösen. Dabei darf es keine „heiligen Kühe“ geben und die Bewertung sollte ganzheitlich und unvoreingenommen erfolgen, und zwar aus zwei Perspektiven:

  • Extern: Prognosen für den Automobilsektor und Wachstumstrends in den einzelnen Segmenten und deren Schwankungen, Marktattraktivität, Wettbewerb und neue Technologien
  • Intern: Wie steht es im Unternehmen um die Kompetenz und Flexibilität der Mitarbeitenden, das Know-how, die Verfügbarkeit von Ressourcen und die finanzielle Stabilität, um die angestrebten Ziele zu erreichen?

Schritt 2: Festlegung der künftigen Geschäftsfelder und Angebote

Nach Klärung der strategischen Leitlinien müssen die Optionen und ihre Umsetzbarkeit genau untersucht werden. Es gilt, einzelne Produkte, Geschäftsbereiche und das gesamte Unternehmen zu betrachten und unter anderem folgende Fragen zu beantworten:

  • Wo möchte ich agieren?
  • Wie möchte ich vorgehen?
  • Wie lange möchte ich operieren?
  • Mit wem soll ich zusammenarbeiten?

Um das optimale künftige Geschäftsportfolio festzulegen, sollten neue Segmente identifiziert und hinsichtlich ihrer Nähe zum aktuellen Geschäft, der Komplexität der Umsetzung, der künftigen Gewinnaussichten und möglicher Eintritts- oder Austrittsbarrieren bewertet werden. Wichtig ist zu bestimmen, welches Kundensegment des Ökosystems im Mittelpunkt stehen sollte, z. B. Geländefahrzeuge, Personenwagen oder Lastkraftwagen, und die regionalen Strategien auf Investitionen des öffentlichen und des privaten Sektors abzustimmen. Für ein gut strukturiertes Portfolio ist es auch wichtig, die bestehenden Angebote zu straffen. Eine Differenzierung zwischen künftigen Kernkompetenzen und sonstigen Leistungen sowie die gezielte Abwicklung von Geschäftsbereichen können Kapital für bessere Investitionsmöglichkeiten freisetzen. Dabei spielen die Szenarienplanung und die ständige Weiterentwicklung der Roadmap eine wichtige Rolle.

Schritt 3: Entwicklung von Betriebsmodellen

Nach der Festlegung der Schwerpunktbereiche folgt die Gestaltung der Betriebsmodelle. Priorität sollte ein Höchstmaß an Flexibilität sein, um schnell reagieren und in einem sich rasch entwickelnden Automobilsektor erfolgreich navigieren zu können. Dazu reicht ein einziges Betriebsmodell möglicherweise nicht aus. Es empfiehlt sich vielmehr, spezifische Anpassungen für Geschäftssegmente mit abweichenden Anforderungen vorzunehmen, z. B. für Bereiche mit positiver Entwicklung oder solche, die eingestellt werden sollen.

Bei der Prüfung einer Reihe strategischer Optionen legen Unternehmen Schwerpunkte fest und identifizieren angeschlagene oder gealterte Bereiche, die ein Handeln dringend erforderlich machen. Eine praktikable Strategie ist die Entwicklung strategischer Geschäftsfelder, um problematische Tätigkeiten zu verwalten und gleichzeitig Investitionen in künftiges Wachstum zu tätigen. Die Bildung solcher strategischer Geschäftsfelder entspricht quasi einer Ausgliederung. Mit einem speziellen Führungsteam können eine oder mehrere Geschäftseinheiten viel einfacher und schneller transformiert werden als in einer traditionellen, stärker verflochtenen Unternehmensstruktur. Strategische Geschäftsfelder bieten mehr Flexibilität, um auf Marktchancen zu reagieren und Wachstumsinitiativen voranzutreiben. Sie ermöglichen auch eine bessere Steuerung, Kapitalallokation und Risikoabschirmung. Gleichzeitig sind sie unabhängig, so dass Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten optimal aufgeteilt werden können.

Im Gegensatz zu einer vollständigen Ausgliederung vermeidet ein Rückgriff auf die bestehenden Strukturen die hohen Zusatzkosten für eine eigenständige Einheit. Aber Vorsicht: In vielen Fällen können ein Unternehmen und seine Betriebsmodelle nicht unabhängig voneinander aufgebaut werden. Es gibt möglicherweise Faktoren, die der geplanten Struktur im Wege stehen, wie z. B. der Grad der Verflechtung mit dem Kerngeschäft. Der operative Aufwand und die damit verbundenen Kosten könnten extrem hoch sein, sodass es sich nur lohnt, wenn die Chancen auch hoch sind. Wichtig ist, dass strategische Geschäftsfelder nur für strategisch wichtige Einheiten mit einem gewissen Bedarf an Flexibilität eingerichtet werden.

Strategische Geschäftsfelder finden sich häufiger in Europa, da die Eigentümerstruktur und die staatliche Unterstützung eine größere operative Flexibilität zulassen. Dagegen gründen amerikanische Unternehmen, die weitgehend von den Kapitalmärkten und den Aktionären beeinflusst werden, häufiger eigenständige Gesellschaften im Rahmen von Spin-offs.

Der organisatorische Aufbau und die Ressourcenzuweisung müssen letztlich so gestaltet sein, dass die Strategie umgesetzt werden kann. Die Vision muss sich in der gesamten Organisation spiegeln, ohne dass die Möglichkeiten zur Umsetzung außer Acht gelassen werden. Jedes Unternehmen ist dabei unterschiedlich. Während einige Partnerschaften eingehen, planen andere Wachstumsinitiativen intern, wiederum andere bevorzugen mit recht wenig Anlagekapital (Asset light) auszukommen. Strategische Geschäftsfelder verringern diese Probleme in gewissem Maße, indem sie maximale Flexibilität bieten und schneller angepasst werden können.

Schritt 4: Umsetzung der Strategie

Gleich ob es sich um das bestehende Produktportfolio oder um potenzielle neue Geschäftsfelder handelt, künftige strategische Maßnahmen können unterschiedliche Formen annehmen und sind mit besonderen Hürden verbunden. Die zukünftige Roadmap hängt von folgenden Faktoren ab:

  • Formulierung einer neuen Vision und Bewältigung des Wandels in der Organisation, um das Betriebsmodell umzusetzen
  • Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des bestehenden Geschäftsmodells und der Organisation
  • richtige Investitionsentscheidungen zur Umverteilung von Kapital für künftiges Wachstum
  • Möglichkeit einer kosteneffizienten Finanzierung der Strategie
  • Umschulung von Mitarbeitenden mit Blick auf das neue Betriebsmodell
  • Gewährleistung einer stabilen Lieferkette
  • Wachstum im spezifischen Markt- oder Produktsegment oder erwartete Auslaufphase für bestehende Produkte und Geschäftsbereiche

Unser Framework zur Bewertung strategischer Optionen

EY hat ein eigenes Framework zur Bewertung strategischer Maßnahmen entwickelt, einschließlich bestehender Portfolios, neuer Einnahmemöglichkeiten und damit verbundener Entscheidungen zur Kapitalzuweisung.

EY Framework zur Bewertung strategischer Maßnahmen für Segmentwachstum unter Berücksichtigung des angestrebten Wandels

Bei ihren Entscheidungen über künftige Produktportfolios müssen die Führungskräfte ein Gleichgewicht finden zwischen kurzfristigen Erträgen und den Erwartungen von Aktionären und Kreditgebern einerseits und dem Ziel eines langfristigen rentablen Wachstums andererseits.

Zu berücksichtigende strategische Optionen

10 strategische Optionen, die in Betracht gezogen werden sollten:

1. Veräußern

Die Veräußerung von Unternehmensteilen (z. B. von Produktionsanlagen, Vertriebsnetzen, gesamten Geschäftsbereichen) kann dazu dienen, das erforderliche Kapital für Investitionen in innovative Vorhaben aufzubringen. Ein radikaler Schritt, der jedoch entscheidend sein kann, wenn nur begrenzte Mittel für künftige Innovationen zur Verfügung stehen und es sich nicht um ein Kerngeschäft handelt. Auch ist es wichtig, einen Geschäftsbereich zu veräußern, solange er noch einen gewissen Marktwert hat. So könnte es schwierig werden, nach dem Durchbruch von Elektrofahrzeugen noch einen Käufer für eine auf Verbrennungsmotoren spezialisierte Sparte zu finden. Als Käufer kommen sowohl Unternehmen, die eine strategische Übernahme verfolgen, als auch Finanzinvestoren in Frage. Beide Optionen müssen aufgrund der Auswirkungen auf die Dauer der Übergangsdienstleistungen und die Produktion sorgfältig geprüft werden.

2. Verkleinerung

Im Falle von Geschäftssegmenten, die von Überalterung bedroht sind, insbesondere im Zusammenhang mit Verbrennungsmotoren, könnten einige potenzielle Käufer anführen, der einzige Interessent zu sein. Das würde eine besondere Strategie erfordern, um das Unternehmen langfristig zu verschlanken, wie oben beschrieben, und die entsprechenden Anpassungsprozesse proaktiv umzusetzen. Interne Hindernisse wie mangelnde Flexibilität beim Personal und die Einführung neuer Arbeitsmethoden können die Mitarbeitenden jedoch demotivieren und ihre Moral beeinträchtigen. Kostenführerschaft und eine starke Positionierung in einem zunehmend oligopolistisch geprägten Markt können zum wichtigsten Mantra werden. Der Schwerpunkt wird sich von der Produkt- auf die Prozessinnovation und von der Effizienzsteigerung auf die Sicherstellung der Lieferkette verlagern. Gleichzeitig müssen die Produktionskapazitäten laufend unter Berücksichtigung der Volumen gebündelt werden - all dies ist Teil einer erfolgreichen Strategie zum Ausstieg aus im Niedergang befindlichen (Produktions-)Anlagen.

Eine solide Aftermarket-Strategie wird ebenfalls zu einer wichtigen Säule für den Erfolg. Die Möglichkeiten zur Refinanzierung könnten mit der Zeit immer knapper werden. Deshalb müssen die Anbieter eng und transparent mit ihren Investoren und Geldgebern zusammenarbeiten.

3. Straffung von Betrieb, Ressourcenzuweisung und Portfolios

Durch die Straffung von Betrieb, Ressourcenzuweisung und Portfolios lässt sich die Komplexität verringern, die Effizienz steigern und die Kapazitäten wie auch der Aktionsradius optimieren. Im Vergleich zu anderen Rationalisierungsbemühungen scheint diese Option weniger radikal zu sein und führt meist zu vergleichsweise geringen Verbesserungen im bestehenden Portfolio, erfordert aber dennoch einen relativ hohen Kapitalaufwand. Daher müssen die potenziellen Erträge aus den Investitionen gegenüber den neuen Einnahmemöglichkeiten abgewogen werden, insbesondere wenn das Kapital begrenzt ist.

4. Innovation des Ökosystems

Eine weitere Strategie, die viele Unternehmen in Betracht ziehen, ist die Innovation des Ökosystems. Asset-light-Strategien und -Geschäftsmodelle, die die Übertragung von Assets an „bessere Eigentümer“ umfassen, um den Unternehmen eine Verlagerung von Fixkosten hin zu variablen Kosten zu ermöglichen, gewinnen in allen Sektoren zunehmend an Bedeutung. Die Unternehmen verfolgen dabei das Ziel, profitables Wachstum zu erzielen und zugleich ihr Kapital umsichtig zu verwalten. Solche Assets können sowohl Hard Assets wie Sachanlagen als auch Soft Assets wie Produktentwicklung, Vertriebskanäle, Informationstechnologie und Kundenbindungsprogramme sein.

5. Konsolidierung oder Fusion

In einem stabilen Marktumfeld, in dem Größenvorteile wichtig sind, könnte eine Konsolidierung oder Fusion mit ähnlichen Unternehmen, sogar mit bisherigen Konkurrenten, eine Option sein. Dies kann zu Synergien bei den Kapazitäten und Einnahmen führen, die für künftige Innovationen benötigt werden. Eine Fusion mit einem Unternehmen, das komplementäre Produkte anbietet, kann dazu beitragen, das Produktportfolio zu diversifizieren und die Wertschöpfungskette zu erweitern und dadurch die Rentabilität zu steigern. Außerdem bietet die Zusammenführung von Immobilien und Fabriken die Möglichkeit, Produktionsanlagen anders zu nutzen oder weniger produktive Anlagen zu veräußern, wenn die Preise hoch sind. Wichtig ist, dass durch die Zusammenlegung auch die notwendige Marktmacht erlangt werden kann, um die Preise zu diktieren und gleichzeitig Skaleneffekte zur Kostensenkung zu erzielen.

Ein mögliches Szenario, das vor allem in den USA zu beobachten ist, ist eine auf Private-Equity-Käufer ausgerichtete Roll-up-Strategie mit dem Ziel, ältere Assets zu sanieren. Private-Equity-Unternehmen können ihre hohen Kompetenzen in Sachen Wertschöpfung und ihre spezialisierten Führungskräfte mit Erfahrung in der Automobilindustrie nutzen, um eine solche Strategie zu verfolgen. Diese Strategie kann interessant sein, wenn die Kernkompetenzen der Zielunternehmen auch auf verwandten Märkten genutzt werden können oder wenn das Portfolio weitere wertvolle Produkte enthält. Diese Entwicklung variiert jedoch weltweit. In Europa etwa steckt Private Equity noch in den Kinderschuhen, was auf Unterschiede in der Gesetzgebung, insbesondere im Arbeitsrecht, zurückzuführen ist. Dies sind entscheidende Variablen für die Entscheidung, insbesondere bei möglichen Restrukturierungen und der Zusammenlegung von Kapazitäten, die zu Werksschließungen und Marktaustritten führen.

6. Partnerschaften und Joint Ventures

Unternehmen, die es vorziehen, ihre Autonomie zu bewahren, entscheiden sich häufig für Partnerschaften oder Joint Ventures. Die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens für eine Reihe von Produkten, ob alt oder neu, bietet die Möglichkeit, die Kräfte zu bündeln und sich gegenseitig zu ergänzen – sowohl in Bezug auf das Kapital als auch auf die Ressourcen. Allerdings ist eine sorgfältige Planung erforderlich. Um langfristig Werte für beide Seiten zu schaffen, ist es wichtig, gemeinsame Ziele zu formulieren, Systeme und Prozesse zu harmonisieren, einheitliche Erfolgsfaktoren und Systeme zur Erfassung von Kennzahlen zu implementieren und eine enge Kommunikation zwischen gleichberechtigten Partnern zu pflegen.

7. Alles wie gehabt

In einem sich rasch verändernden Umfeld ist es zweifelsohne die riskanteste Option, nichts zu tun. Dies kommt für einen kleinen Teil der Unternehmen infrage, deren Geschäfte durch die Weiterentwicklung der Branche nicht beeinträchtigt werden. Allerdings verpassen diese Unternehmen möglicherweise auch die Chance, in neue Geschäftsbereiche hineinzuwachsen. Nachzügler brauchen oft bessere Argumente und mehr Kapital, um sich auf einem bereits relativ ausgereiften Markt behaupten zu können.

8. Interne Entwicklung

Interne Entwicklung ist eine Option, wenn die Technologie im Entstehen begriffen ist und ausreichend Kapital und Ressourcen sowie die erforderlichen Kompetenzen vorhanden sind. Doch bevor ein Unternehmen Kapital in neue Technologien investiert, sollte es vor allem die internen Ressourcen, darunter Mitarbeitende und Technologien, sowie die wahrscheinlichen künftigen Marktszenarien sorgfältig bewerten und dabei auch das bestehende Portfolio berücksichtigen. Auch wenn kurzfristige Erfolge in Aussicht stehen, ist eine langfristige Betrachtung stets unerlässlich.

9. Beschaffung von Ressourcen und vertikale Integration

Unternehmen können ihr Wertangebot erweitern, indem sie ergänzende Technologien zukaufen und vertikal integrieren (und somit beispielsweise zu einem Systemintegrator werden) oder den Transfer neuer Kompetenzen in neue Wachstumsbereiche ermöglichen. Darüber hinaus kann der Kauf verwandter Produkte oder Komponenten Unternehmen helfen, solide Aftermarket-Strategien umzusetzen – etwa indem sie zu einer One-Stop-Plattform für Verbrennungsmotortechnologien werden.

10. Ergänzungsakquisitionen 

Diese Option bietet sich vor allem dann an, wenn die erforderlichen Fertigkeiten aufgrund des nötigen Kapitals oder mangelnder Ressourcen nicht rechtzeitig intern entwickelt werden können. Zunächst muss das passende Zielunternehmen gefunden und die Transaktion optimal strukturiert werden. Auch der Preis muss stimmen. Vor der Übernahme ist eine umfassende Bewertung erforderlich, einschließlich der Mitarbeitenden, Prozesse, Systeme und Vermögenswerte, um eine reibungslose Integration zu gewährleisten. Im Erfolgsfall können Synergieeffekte erzielt, Produkte schneller auf den Markt gebracht und differenzierte Produkte angeboten werden.

Die oben dargelegten strategischen Optionen können entweder allein oder in Kombination mit parallelen Betriebsmodellen umgesetzt werden, um die Organisation zu transformieren. So kann ein Unternehmen mit Liquiditätsengpässen beispielsweise einen Geschäftsbereich mit rückläufiger Marktnachfrage veräußern, um Kapital zu beschaffen und ein neues Unternehmen mit Innovationsfähigkeit zu erwerben, das zur Strategie der Mutterfirma passt.

Wichtige Überlegungen

Die Führungskräfte von Zulieferbetrieben, die sich Gedanken über den Weg ihres Unternehmens machen, sollten sich Folgendes kritisch fragen:

  • Welche Möglichkeiten bestehen hinsichtlich der Kapital- und Ressourcenallokation und inwieweit sind sie geeignet?
  • Wie teilen wir die Investitionen auf bestehende Geschäfte und Wachstumsvorhaben auf?
  • Unterstützt das derzeitige Betriebsmodell unsere Wachstumsambitionen?
  • Wie können wir die Stärke unserer Kunden, der Automobilhersteller, und unserer eigenen Zulieferer nutzen, um das regulatorische Umfeld und die Umstellung der Käufer zu beeinflussen (z. B. durch Anreize)?
  • Welche Partnerschaften könnten die Voraussetzungen für einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil schaffen? Sollten wir unsere Softwarekapazitäten verdoppeln?
  • Welche Rolle wird mein Unternehmen im gesamten Ökosystem und in der Wertschöpfungskette der Automobilindustrie spielen und welchen Wertbeitrag wird es leisten?
  • Gibt es ein Asset-light-Modell, das es uns ermöglicht, den Ertragsstrom aufrechtzuerhalten, aber die Belastung durch Sachanlagen zu verringern?

Letztendlich ist nicht bekannt, inwieweit die Regulierungsbehörden, Regierungen und Automobilhersteller die Zulieferer und die betroffenen Fachkräfte bei der erfolgreichen Umstellung unterstützen werden. Strategische Investitionen in die Umrüstung von Anlagen und Mitarbeitenden müssen gut durchdacht sein und auch die Auswirkungen auf Umwelt, Soziales und Governance mit einbeziehen.

Fazit

EY ist gut positioniert, um Unternehmen bei ihrer Anpassung an den Elektrifizierungstrend zu unterstützen, die Auswirkungen auf das Produktportfolio abzumildern, Maßnahmen zur Verschlankung zu ergreifen und die Gesamtrendite für die Aktionäre zu steigern:

  • Beratung von Führungskräften bei der Identifizierung und Bewertung möglicher Optionen im breiteren Ökosystem
  • Szenario-Modellierung und Analyse von Betriebsmodellen und Geschäftsgruppen
  • Identifizierung von bestehenden Assets und Ressourcen, die im Unternehmen verbleiben sollten
  • Kenntnisse darüber, wie man den Wandel mithilfe interner strategischer Geschäftsfelder vorantreibt und Risiken antizipiert
  • Unterstützung bei der Suche nach Partnern und Zielunternehmen auf dem Weg, die Agenda für Fusionen und Übernahmen oder Kooperationen umzusetzen
  • Nutzung unserer branchenübergreifenden Präsenz durch die Verbindung wichtiger Interessengruppen neu entstehender Ökosysteme wie Regierungen, Versorgungsunternehmen und Mobilitätsanbieter

In einer Zeit des ständigen Wandels und der Umwälzungen darf man nicht vergessen, dass Strategien ständig weiterentwickelt werden und Betriebsmodelle kontinuierlich angepasst werden müssen. Es ist ein kontinuierlicher Prozess, bei dem die Entwicklungen verfolgt und die Schritte verfeinert werden müssen, insbesondere in Zeiten grundlegender Veränderungen in der Branche. Mit einer starken Fokussierung auf ganzheitliche Strategien unterstützt EY Zulieferer aktiv über den gesamten Zyklus des strategischen Wandels.

Constantin Wirschke, Venkat Maddila, Susan Walker, Oya Zamora, Matt Joergensen, Violetka Dirlea und Giri Varadarajan von Ernst & Young LLP haben zu diesem Artikel beigetragen.

  • Artikelreferenzen anzeigen#Artikelreferenzen ausblenden

    1. „Biden Sets Target of 50 Percent Electric Cars by 2030“, Institute for Energy Research, 9. August 2021.
    2. „General Motors, Ford pledge at COP26 to sell only zero-emissions cars by 2040“, cnet.com, 10. November 2021.
    3. Befragung von EY, 2021.
    4. „Here’s Seven Reasons Why Electric Vehicles Will Kill The Gas Car“, InsideEVs.com, 22. September 2018.
    5. Profit-Pool-Analyse von EY, Prognose auf der Grundlage von Finanzdaten von S&P und LMCA, 2010-20, modellierte Szenarien bis 2030.
    6. Ebd.

Fazit

Der Übergang zur Elektromobilität wird voraussichtlich schnell vonstattengehen und dürfte erhebliche Auswirkungen auf die Kapitalallokation fast aller Automobilzulieferer haben. In dieser Zeit des Übergangs müssen die Unternehmen ein Gleichgewicht zwischen dem Geschäft mit Komponenten für Verbrennungsmotoren einerseits und Innovationen und wachstumsorientierten Vorhaben andererseits finden. Für einen erfolgreichen Wandel ist es wichtig, dass die Unternehmen jetzt handeln. Zulieferer können diesen entscheidenden Moment proaktiv nutzen, um ihre Kapitalallokation in Bezug auf den laufenden Betrieb zu optimieren, gestrandete Vermögenswerte zu vermeiden und profitables Wachstum voranzutreiben. Auf diese Weise können sie ihre Stellung im Markt festigen, unabhängig davon, ob die Zukunft elektrisch, vernetzt, autonom oder eine Kombination davon sein wird.

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