7 Minuten Lesezeit 25 Juni 2020
Lautsprecher am Himmel

Warum Unternehmensintegrität jetzt wichtiger ist denn je

Von Andrew Gordon

EY Global Forensic & Integrity Services Leader

Global Forensics Leader focusing on helping organizations build their integrity agenda so they better anticipate and mitigate risk.

7 Minuten Lesezeit 25 Juni 2020

Weitere Materialien

  • Is this the moment of truth for corporate integrity (pdf)

Der EY Global Integrity Report 2020 zeigt, dass Führungs- und Nachwuchskräfte geteilter Meinung darüber sind, was sie als unethisches Verhalten wahrnehmen.

Dieser Artikel ist Teil des EY Global Integrity Report 2020.

Angesichts der COVID-19-Pandemie ist Integrität heute wichtiger als je zuvor. Unternehmen antizipieren und reagieren auf die aktuellen Herausforderungen, z. B. indem sie Lieferanten wechseln oder ihre Prioritäten verlagern. Vor diesem Hintergrund ist es essenziell, dass Compliance-Standards eingehalten werden. Ist dies nicht der Fall, setzen sich Unternehmen einem großen Risiko aus.

Gemäß den neuesten Erkenntnissen basierend auf den Angaben von Tausenden von Unternehmen, die am Global Integrity Report 2020 teilgenommen haben, können persönliche Verhaltensstandards die ersten sein, die in Krisenzeiten vernachlässigt werden.

Unternehmen sind keine Maschinen. Sie sind komplexe Systeme, die sich aus Menschen mit eigenen Instinkten und Verhaltensweisen zusammensetzen, die durch ihre Umgebung beeinflusst werden. „Die Menschen in Ihrem Unternehmen und die Umgebung, in der sie arbeiten, zu verstehen ist entscheidend, um Ihr Unternehmen vor unethischem Verhalten zu schützen", so Stefan Heissner, EY EMEIA Forensic & Integrity Serivces Leader.

Global Integrity Report

59 %

der Befragten gaben an, dass es schwierig für Unternehmen sei, in Zeiten schnellen Wandels oder unter schwierigen Marktbedingungen ihre Integritätsstandards aufrechtzuerhalten (63 % in den aufstrebenden Märkten).

Blick auf die Zahlen

35 % der Befragten sind der Ansicht, dass unethisches Verhalten in ihrem Unternehmen oft toleriert wird, wenn es sich bei den beteiligten Personen um leitende Mitarbeiter oder Leistungsträger des Unternehmens handelt. Bei den befragten Führungskräften sind sogar 41 % dieser Meinung. Ferner gehen 46 % der Befragten davon aus, dass es in ihrem Unternehmen Führungskräfte gibt, die bereit wären, Integrität für kurzfristigen finanziellen Gewinn zu opfern. Bei den befragten Führungskräften sind es sogar 51 %.

Unsere Untersuchungen zeigen, dass mit dem Rang eines Mitarbeiters auch die Wahrscheinlichkeit unethischen Verhaltens steigt. Leitende Mitarbeiter sind eher bereit, unethisches Verhalten zu rechtfertigen, darunter das Hinwegsehen über unethisches Handeln in ihrem Team, die Irreführung von externen Parteien wie Wirtschaftsprüfern oder Aufsichtsbehörden oder das Anbieten bzw. Annehmen von Bestechungsgeldern, um die eigene Karriere voranzutreiben oder das eigene Gehalt aufzubessern. Das ist besorgniserregend, da Führungskräfte für die Grundeinstellung in ihren Unternehmen verantwortlich sind und die Verhaltensstandards definieren.

Diejenigen Mitarbeiter, die ihres Erachtens das höchste Maß an Integrität zeigen, haben größeres Vertrauen in ihr bisheriges Verhalten. Über die Hälfte (51 %) der Befragten wäre jedoch besorgt, sollten Informationen über ihre Entscheidungen im Arbeitsalltag öffentlich werden. COVID-19 und die daraus resultierende Wirtschaftskrise werden ihr unethisches Verhalten und Handeln zweifellos zutage fördern. Damit sind Unternehmen dem Risiko einer Rufschädigung schutzlos ausgesetzt, insbesondere angesichts der Reichweite des digitalen Fußabdrucks – Entscheidungen, Statements und Posts in den Social Media sind für immer elektronisch gespeichert.

Deutlich über die Hälfte der Befragten (59 %) gab an, dass es schwierig für Unternehmen sei, in Zeiten schnellen Wandels oder unter schwierigen Marktbedingungen ihre Integritätsstandards aufrechtzuerhalten. Von den Befragten in aufstrebenden Märkten sind sogar 63 % dieser Meinung.

Diese Erkenntnisse zeichnen ein besorgniserregendes Bild – und das bereits in der Zeit vor COVID-19. Jetzt, da Unternehmen ums Überleben kämpfen, könnte dies zu einer weiteren Verwässerung ethischer Standards führen. Die feste Verpflichtung zur Messung und Überwachung von Integrität – sowohl von Personen als auch von Unternehmen – gewinnt in schwierigen Zeiten umso mehr an Bedeutung.

Ein Fünftel (21 %) der Teilnehmer unserer Folgestudie im April ist zudem der Ansicht, dass sich das ethische Geschäftsverhalten im Zuge von COVID-19 verschlechtern wird.

Die Unternehmenskultur aus Sicht der Mitarbeiter – fünf Dinge, die Sie wissen sollten

Unsere Untersuchungen zeigen, dass Führungs- und Nachwuchskräfte1 das Handeln der Unternehmensführung und die Werte ihres Unternehmens komplett unterschiedlich wahrnehmen. Nur weil Nachwuchskräfte glauben, dass etwas passiert, bedeutet das natürlich noch nicht, dass es tatsächlich so ist. Trotzdem ist die Wahrnehmung der Mitarbeiter ein bedeutender Faktor und der Schlüssel liegt darin, das Warum zu verstehen.

  1. Nachwuchskräfte befürchten beim Melden von Fehlverhalten persönliche Konsequenzen. Lediglich 58 % der Nachwuchskräfte sind der Ansicht, dass Mitarbeiter in ihrem Unternehmen Fehlverhalten im Arbeitsalltag melden können, ohne mit negativen Konsequenzen für sich selbst rechnen zu müssen. Bei den befragten Vorstandsmitgliedern sind es hingegen 70 %. Die Führungskräfte müssen das Vertrauen ihrer Mitarbeiter durch eine klare Kommunikation der Werte des Unternehmens und eine transparente Einhaltung der Regeln stärken und sichere Kanäle bereitstellen, über die Mitarbeiter ihre Bedenken zum Ausdruck bringen können.

  2. Führungskräfte geben dem Thema Integrität nicht genügend Raum. Zwei Drittel (67 %) der befragten Vorstandsmitglieder glauben, dass die Bedeutung integren Verhaltens häufig thematisiert wird, jedoch sind nur 37 % der Nachwuchskräfte dieser Meinung. Führungskräfte müssen sich mit ihrer Botschaft zur Integrität an das gesamte Unternehmen wenden und die Mitarbeiter für das Thema gewinnen.

  3. Nachwuchskräfte bezweifeln, dass sich die Integritätsstandards verbessern. 58 % der Nachwuchskräfte glauben, dass die Integritätsstandards in ihrem Unternehmen gleich geblieben sind oder sich verschlechtert haben, während 71 % der Vorstandsmitglieder der Meinung sind, dass sich die Standards verbessert haben. Unternehmen müssen hart daran arbeiten, spürbare Verbesserungen ihrer Integritätsstandards zu erreichen, die in der gesamten Organisation spürbar sind.

  4. Es herrscht die Meinung, Führungskräfte würden unethisches Verhalten von Leistungsträgern tolerieren. Ein Drittel (32 %) der Nachwuchskräfte glaubt, unethisches Verhalten würde toleriert, sofern die Schuldigen leitende Mitarbeiter oder Leistungsträger des Unternehmens sind. Tatsächlich ist ein ähnlicher Prozentsatz der befragten Vorstandsmitglieder (34 %) der gleichen Ansicht. Fehlverhalten darf (unabhängig vom Rang) in keinem Fall toleriert werden.

  5. Nachwuchskräfte glauben nicht, dass sich Führungskräfte integer verhalten. 60 % der Nachwuchskräfte sind nicht davon überzeugt, dass sich ihre Führungskräfte im Geschäftsalltag integer verhalten. Hingegen ist die Mehrheit (55 %) der befragten Vorstandsmitglieder von ihrem integren Verhalten überzeugt. Die Führungskräfte des Unternehmens müssen stets integer handeln und mit gutem Beispiel vorangehen.

Wie Sie mit Integrität persönliches Fehlverhalten vermeiden können

Unter anderem folgende Maßnahmen sind jetzt zu treffen:

  • Überprüfen Sie Ihren aktuellen Compliance-Rahmen: Wird er der sich ändernden Risikolandschaft gerecht? Beeinflusst er das Verhalten der Mitarbeiter? Und stehen ausreichend Ressourcen zur Verfügung?

  • Finden Sie heraus, wie Ihre Mitarbeiter den Risiken und Zwängen, das Falsche zu tun, gegenüberstehen, und stärken Sie die Kanäle, die den Mitarbeitern zur Verfügung stehen, um Fehlverhalten vertraulich und ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen zu melden.

  • Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihr berufliches Handeln, unabhängig davon, ob dieses kritisch hinterfragt wird oder nicht. Leitende Mitarbeiter müssen mit gutem Beispiel vorangehen, um eine integre Unternehmenskultur zu schaffen.

  • Behandeln Sie nicht die Symptome, sondern gehen Sie der Ursache von Fehlverhalten auf den Grund. Verstehen Sie die Dynamik der sozialen Umgebung, die zu unethischem Verhalten führt.

  • Entwickeln Sie Richtlinien und Verfahren, die sich auf das individuelle Verhalten (unabhängig vom Mitarbeiterrang) auswirken, und verstärken Sie den Effekt durch individuell zugeschnittene Schulungen und Informationen.

  • Nutzen Sie Daten, um hilfreiche Einblicke in das tatsächliche Verhalten in Ihrem Unternehmen zu gewinnen. 

Dies ist ein Artikel aus einer Artikelreihe basierend auf dem Global Integrity Report 2020. Für einen umfassenden Ansatz zur Aufrechterhaltung von Integrität wird auf die weiteren Artikel aus der Reihe verwiesen, die unten aufrufbar sind:

  1. Förderung vertrauensvoller Partnerschaften mit Dritten auf der Grundlage von Integrität
  2. Daten schützen und gleichzeitig ihren Wert auf ethische Weise nutzen
  • Methodik und Datenerhebung

    Der Global Integrity Report 2020 knüpft an unsere vorangegangene Reihe des Global Fraud Survey an und hebt drei entscheidende Maßnahmen hervor, die Unternehmen in ihren Integritätsagenden priorisieren müssen, um die durch die Krise beschleunigten ethischen Herausforderungen zu meistern: persönliches Verhalten, Management von Dritten und Datenintegrität.

    Im Januar und Februar 2020 führten unsere Forscher – die globale Marktforschungsagentur Ipsos MORI – 2.948 Umfragen in der jeweiligen Landessprache mit Vorstandsmitgliedern, leitenden Angestellten, Managern und Mitarbeitern in einer Stichprobe der größten Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen in 33 Ländern und Regionen auf der ganzen Welt durch. Weitere Umfragen wurden im April 2020 mit dem gleichen Profil der Befragten in China, Deutschland, Indien, Italien, Großbritannien und den USA während der COVID-19-Pandemie durchgeführt.

Fazit

Jetzt, da einige Unternehmen ums Überleben kämpfen, könnte dies zu einer weiteren Verwässerung ethischer Standards führen. Die feste Verpflichtung zur Messung und Überwachung von Integrität – sowohl von Personen als auch von Unternehmen – gewinnt in schwierigen Zeiten umso mehr an Bedeutung. Unsere Untersuchungen zeigen jedoch, dass Führungs- und Nachwuchskräfte das Handeln der Unternehmensführung und die Werte ihres Unternehmens komplett unterschiedlich wahrnehmen.

Über diesen Artikel

Von Andrew Gordon

EY Global Forensic & Integrity Services Leader

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