Kapitel 1
Risiko- und Krisenmanagement
Auf Basis bereits spürbarer Pandemiefolgen sowie erwarteter Auswirkungen müssen Vorstand und Aufsichtsrat einen Maßnahmenplan entwickeln.
Bereits kurz nach der globalen Ausbreitung von COVID-19 sind die unmittelbaren Folgen allgegenwärtig. Der Vorstand sollte die daraus folgenden operationellen Risiken schnellstmöglich und fortlaufend identifizieren und priorisieren sowie Maßnahmen dagegen definieren und umsetzen. Risikoappetit und -toleranz der Gesellschaft sind unter Umständen zu adjustieren.
Der Aufsichtsrat sollte die Anstrengungen des Vorstands beratend begleiten und überwachen. Er sollte sich hierzu regelmäßig und deutlich häufiger als im Normalfall über neue Risiken, materielle Bedrohungen, Schwachstellen und mögliche Auswirkungen berichten lassen. Je nach Art der Risiken und deren Auswirkungen kann die Überwachung an den Prüfungs- oder Risikoausschuss übertragen werden. Auch in dieser besonderen Situation ist die Dokumentation wichtig und sollte nicht dem immensen Zeitdruck geopfert werden. Diskussion, Einschätzung und Entscheidungen mit Bezug zur Bekämpfung von COVID-19 sollten angemessen in den Sitzungsprotokollen festgehalten werden.
Corona-Krise: Wesentliche Risikofelder und politische Entwicklungen im Blick halten
Der Fokus der Überwachungstätigkeit liegt fast überall auf den unmittelbaren Folgen der Pandemie – etwa auf Szenariorechnungen und Ausfallwahrscheinlichkeiten im Bereich der Umsatzrealisierung, Forderungsausfall und Liquiditätsmanagement. Dennoch dürfen wesentliche Risikofelder nicht vernachlässigt werden. Dies gilt etwa für die Überwachung von Compliance-Risiken, insbesondere in hoch regulierten Branchen. Außerdem sollten gezielt Gefahrenquellen identifiziert werden, die sich durch die Corona-Krise ergeben haben. So erhöht zum Beispiel die stärkere Nutzung digitaler Lösungen für die tägliche Zusammenarbeit die Anfälligkeit für Cyberrisiken.
Darüber hinaus sollten sich Vorstand und Aufsichtsrat regelmäßig über Gesetzgebungsinitiativen, allgemeine politische Vorschriften zum Schutz der Bevölkerung sowie weitere regulatorische und verwaltungsrechtliche Entwicklungen informieren und diese bei ihren Entscheidungen einbeziehen. So hat etwa der Deutsche Bundestag am 25. März 2020 das Artikelgesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (im Folgenden Pandemie-Gesetz) in dritter Beratung angenommen. Der Bundesrat hat am 27. März zugestimmt.
COVID-19-Pandemie birgt auch Chancen
Auch wenn die Herausforderungen im eigenen Unternehmen riesig sind, kann ein unternehmensübergreifender Austausch über Vorgehensweisen und neue Verfahren hilfreich sein und Hinweise auf bislang vernachlässigte Risikofelder liefern. Dabei helfen zum Beispiel themenspezifische Webcasts und Q&A-Sessions. Ebenso sollte ein bewusster Blick auf mögliche Geschäftschancen gelenkt werden. So können unter Umständen vorhandene Produktionskapazitäten für die Herstellung dringend benötigter Schutzausrüstung kurzfristig umgerüstet werden oder Transportkapazitäten zur Verfügung gestellt werden.
Anhand der bereits heute spürbaren Auswirkungen der Pandemie sowie der mittels Szenarioanalysen ermittelten Folgen müssen Vorstand und Aufsichtsrat einen unternehmensspezifischen Maßnahmenplan definieren und fortlaufend weiterentwickeln.
Szenario- und Bestandsanalyse
Mittelfristig sind verschiedene Szenarien möglich. Diese reichen von einem temporären und kurzfristigen Konjunktureinbruch, der sich bereits über den Sommer erholen kann, bis hin zu einer globalen Rezession mit einer langfristigen Erholungsphase begleitet durch massive staatliche Interventionen. Vorstand und Aufsichtsrat sollten rechtzeitig für unterschiedliche Szenarien die Auswirkungen auf die Geschäfts- und Finanzlage des Unternehmens analysieren und deren Folgen in Stresstests simulieren. Auf diese Weise können Liquidität, Kredit- und weiterer Kapitalbedarf je Szenario im Zeitablauf abgeleitet und frühzeitig Gespräche mit Finanzintermediären geführt werden.
Die Szenario-Planung kann als Grundlage für die Bestandsgefährdungsanalyse und Notfallplanung genutzt werden. Der Vorstand sollte kontinuierlich nach Redundanzen, Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Lieferkette und zur Effektivität von externen Dienstleistern suchen, um Kontinuität oder schnellen Ersatz sicherzustellen. Dies gilt insbesondere für kritische Unternehmensaktivitäten und -funktionen.
Vorstand und Aufsichtsrat sollten kritisch hinterfragen und gemeinsam diskutieren, ob bestehende Notfallpläne die derzeit identifizierten potenziellen Risiken widerspiegeln, sie bei Bedarf anpassen und vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklungen kontinuierlich anpassen.
Dabei sind insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen:
Ähnlicher Artikel
Krisenmanagement in der Corona-Krise
Die Corona-Krise ist geprägt von einer großen Unsicherheit. Dennoch werden von Vorstand und Aufsichtsrat schnelle und entschlossene Entscheidungen verlangt. Ein erfolgreiches Krisenmanagement erfordert einen Krisenstab, der sich hauptsächlich der Krisenbekämpfung widmet und mit angemessenen Ressourcen und Entscheidungskompetenzen ausgestattet ist. Außerdem braucht es einen ausgereiften Krisenmanagementplan, der Vorstand und Aufsichtsrat bei einer angemessenen Reaktion unterstützt. Spontane Aktionen bergen die Gefahr von als unverhältnismäßig wahrgenommenen Über- oder Unterreaktionen.
Vorstand und Aufsichtsrat sollten kontinuierlich den Aufgabenumfang, die Zusammensetzung des Krisenstabs sowie den Prozess der Entscheidungsfindung kritisch hinterfragen, um ausreichende Kapazitäten und die Effektivität sicherzustellen. Es gilt eine ausgewogene Balance zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Reaktionsmaßnahmen auf die Krise einzuhalten.
Ein effektiver Plan zum Krisenmanagement zeichnet sich durch folgende wesentliche Elemente aus:
Ähnlicher Artikel
Kapitel 2
Governance Continuity
Allem voran müssen Vorstand und Aufsichtsrat ihre Arbeitsweise und die Inhalte an die Krisensituation und deren Folgen anpassen.
Besonderer Überwachungsmaßstab und Informationsversorgung
In Krisensituationen gilt ein besonderer Überwachungsmaßstab. Daher ist es Aufgabe des Aufsichtsrats, seine Kontrolldichte in sachlichem und zeitlichem Umfang auszuweiten (vgl. etwa BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95). Grundsätzlich darf er aber weiterhin nicht in die Geschäftsführung durch den Vorstand eingreifen. Dennoch ist die begleitende Beratung des Vorstands auszudehnen.
Aus einer „begleitenden Überwachung“ im normalen Geschäftsverlauf wird zumindest eine „unterstützende Überwachung“, in der Vorstand und Aufsichtsrat möglichst eng zusammenarbeiten. Insbesondere der Aufsichtsratsvorsitzende sollte in regem Austausch mit dem Vorstand bzw. dem Vorstandsvorsitzenden stehen. Eine enge beratende Tätigkeit während einer Pandemie hilft, die notwenige Reaktionsgeschwindigkeit zu erreichen und handlungsfähig zu bleiben.
Bei Bedarf sollte der Aufsichtsrat über eine (temporäre) Erweiterung des Katalogs zustimmungspflichtiger Geschäfte nachdenken, um so gemeinsame Entscheidungen zu wesentlichen Unternehmensentscheidungen, wie Business Continuity, Maßnahmen zum Krisenmanagement und Pandemie-Reaktionsplänen, sicherzustellen.
Informationsversorgung und Kommunikation
Für eine enge Zusammenarbeit und eine offene Diskussion ist eine regelmäßige, rechtzeitige und bedarfsgerechte Information des Aufsichtsrats entscheidend, insbesondere da sich die relevanten Informationen fortlaufend und teilweise innerhalb weniger Tage oder Stunden grundlegend ändern können. Der Aufsichtsrat sollte seinen zusätzlichen Informationsbedarf mit dem Vorstand abstimmen. Wichtig ist dabei, den Vorstand mit den erhöhten Berichtspflichten nicht zu überlasten. Eine Lösung, um unnötige Abstimmungen und zusätzliche Informationswege über das Aufsichtsratsbüro zu vermeiden, kann die direkte Einbeziehung des Aufsichtsrats(vorsitzenden) in die Krisenkommunikation des Unternehmens bzw. des Krisenstabs sein.
Sitzungen und Beschlussfassung
Genauso wie der Vorstand sollte der Aufsichtsrat bedarfsgerecht seine Sitzungsfrequenz erhöhen und bei den außerplanmäßigen Sitzungen auf eine kurze Agenda und kurzfristigere Einberufungs- und Versandfristen setzen. Dies ermöglicht die Beratung zu aktuellen Informationen und reduziert die benötigte Vorbereitungszeit in den Gremienbüros pro Sitzung. Die Sitzungen sollten aufgrund der bestehenden Kontaktbeschränkungen virtuell unter Einsatz von modernen Kommunikationsmedien als Telefon-, Video- oder Onlinekonferenzen abgehalten werden. Die Sitzungsunterlagen können elektronisch im digitalen Boardroom oder per E-Mail zur Verfügung gestellt werden. Alternativ können Sitzungstermine oder Konferenzen zum Informationsaustausch für die nächsten drei oder vier Monate in festen Intervallen geplant werden, die im Zweifel kurzfristig abgesagt werden können.
Hinsichtlich der Beschlussfassung sollten der Aufsichtsrat und seine Ausschüsse die bestehenden Rahmenbedingungen prüfen und ggf. schnellstmöglich anpassen. Soweit die Beschlussfassung nicht gesetzlich in § 108 AktG geregelt ist, gelten die Regelungen aus den Unternehmensregularien (Satzung und Geschäftsordnung des Aufsichtsrats). Vielfach sind fernmündliche Beschlussfassungen per Telefax, Telex, E-Mail, Messenger-Dienst oder Videokonferenz möglich oder können zumindest kurzfristig zugelassen werden, sofern die Aufsichtsratsmitglieder keinen Widerspruch erheben. Die Geschäftsordnung kann vorsehen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende eine einheitliche Art der Übermittlung festlegen und die Gültigkeit der Stimmabgabe an eine festgelegte Übermittlungsart knüpfen kann.
Der Aufsichtsrat ist in der Regel nur beschlussfähig, sofern mindestens die Hälfte seiner Mitglieder, aus welchen sich der Aufsichtsrat gemäß Satzung oder Gesetz zusammensetzt, an der Beschlussfassung teilnimmt. In jedem Fall müssen mindestens drei Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen. Der Beschlussfähigkeit steht nicht entgegen, dass dem Aufsichtsrat weniger Mitglieder als die durch Gesetz oder Satzung festgesetzte Zahl angehören. Zudem ist die Beschlussfähigkeit nicht von der Teilnahme bestimmter Aufsichtsratsmitglieder (z. B. dem Aufsichtsratsvorsitzenden oder seinem Stellvertreter) abhängig. Mit Blick auf mögliche Abwesenheiten aufgrund von Krankheitsfällen sollten Notfallpläne bzw. Vorgehensweisen erarbeitet werden, um die Beschlussfähigkeit sicherzustellen.
Bilanzsitzung
Vielfach wird der Prüfungsausschuss für die ordnungsgemäße Wahrnehmung seiner Überwachungspflicht eine Präsenzsitzung als zweckmäßig ansehen, insbesondere auch für die Bilanzsitzung. Mit Blick auf die aktuelle Pandemielage braucht es allerdings, im Gegensatz zur Hauptversammlung, an dieser Stelle keine Maßnahmengesetzgebung, um virtuelle Sitzungen des Aufsichtsrats bzw. Prüfungsausschusses (auch mit Teilnahme des Abschlussprüfers) zu ermöglichen. Seit Inkrafttreten des TransPuG können Pflichtsitzungen des Aufsichtsrats, und namentlich auch die Bilanzsitzung, in Form von Videokonferenzen abgehalten werden. Wenngleich eine Videokonferenz eine Präsenzsitzung und das unmittelbare Gespräch nicht unmittelbar ersetzen kann, ist dennoch festzuhalten, dass für wirksame Erörterungen im Rahmen der Sitzung nicht das Format, sondern die inhaltliche Ausgestaltung und Intensität ausschlaggebend ist, welche wiederum auch in virtuellen Sitzungsformaten in gleicher Weise erfolgen kann.
Sonderausschuss
Der Aufsichtsrat sollte in Erwägung ziehen, einen Ad-hoc-Ausschuss einzurichten, der die fortlaufende Überwachung der Pandemie, den regelmäßigen Austausch mit dem Vorstand und die Rolle als ständiger Ansprechpartner übernimmt. Alternativ verbleibt diese Rolle beim Vorsitzenden des Aufsichtsrats oder kann beispielsweise einem bestehenden Ausschuss übertragen werden, etwa dem Prüfungs- oder Risikoausschuss. Der Aufsichtsratsvorsitzende sollte Mitglied in diesem Ausschuss sein.
Kapitel 3
Jahresabschluss und Offenlegungspflichten
Die Corona-Krise wirkt sich auch auf den Jahresabschluss und die begleitenden Offenlegungspflichten aus.
Bilanzierung in der Corona-Krise
Vorstand und Aufsichtsrat sollten intern, aber auch gemeinsam mit dem Abschlussprüfer die Auswirkungen auf den Jahresabschluss erörtern. Neben der Prüfung auf Wertminderung langfristiger Vermögenswerte, von Auswirkungen auf Leasing-Verhältnisse sowie der Abbildung von Kurzarbeitergeld, möglichen staatlichen Zuwendungen und der Umsatzrealisation sollten die einzelnen Bilanzpositionen durchgesehen und jeweils auf Anpassungsbedarf geprüft werden.
Lage der Gesellschaft und Geschäftsentwicklung
Vorstand und Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften sind verpflichtet, ausreichend transparent über die tatsächlichen und erwarteten Auswirkungen der Pandemie auf die Geschäfts- und Finanzlage zu berichten. Was in dieser Situation als ausreichend erachtet werden kann, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Dies kann beispielsweise dem Umstand geschuldet sein, dass die Gesellschaft schwerpunktmäßig in besonders stark betroffenen Regionen tätig ist, dort besonders bestandskritische Aktivitäten betreibt oder in einer besonders schwer betroffenen Branche tätig ist (etwa Tourismus, Flugverkehr oder Gastgewerbe).
Vorstand und Aufsichtsrat müssen darauf achten, dass die Lage der Gesellschaft den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Die Offenlegung muss möglichst präzise und vollständig sein und die anhaltenden, sich verändernden Rahmenbedingungen widerspiegeln. Insbesondere sollten realistische Ertragserwartungen und Geschäftsentwicklungen veröffentlicht und die dahinterliegenden Annahmen offenlegt werden. Abweichungen zu früheren Darstellungen sollten hinreichend begründet werden.
Chancen und Risiken der Corona-Krise
Vorstand und Aufsichtsrat sollten darlegen, wie sich die Pandemie auf die Chancen und Risiken des Unternehmens auswirkt. Insbesondere ist kritisch zu hinterfragen, ob neue Risiken ergänzt oder Anpassungen in der initialen Einschätzung vorgenommen werden müssen. Vorstand und Aufsichtsrat sollten ihren Investoren Einblicke in wesentliche Risiken für das Geschäftsmodell und ihre Bewertung sowie Maßnahmen zur Bekämpfung geben.
Mögliche Themen für den Chancen- und Risikobericht
- Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit durch Reise-Restriktionen sowie Quarantäne-Vorschriften und Maßnahmen des Social Distancing bei eigenen Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten sowie die daraus resultierenden Produktionsverzögerungen, Stilllegungen von Betriebsstätten und Lagerstätten, Unterbrechung der Versorgungs- und Vertriebslogistik sowie Personalengpässe
- Unsicherheit über die globalen makroökonomischen Bedingungen, insbesondere Unsicherheit über die Dauer und die Auswirkungen der Pandemie und den damit verbundenen Nachfragerückgang
- Kredit und Liquiditätsrisiken, Kreditausfälle und Vertragsverletzungen
Die Chancen- und Risikoberichterstattung sollte konsistent zur Diskussion zwischen Vorstand und Aufsichtsrat über die wesentlichen Risiken sein. Auch wenn sich nicht alle Aspekte des vertraulichen Austauschs für eine Veröffentlichung eignen, sollten der Tenor und die wesentlichen Risiken dennoch nicht auseinanderklaffen. Risiken sollten unternehmensspezifisch dargelegt werden und sich keiner generischen Sprache bedienen. Besonderes Augenmerk sollte bei den sich stetig ändernden Rahmenbedingungen darauf gelegt werden, dass keine Risiken als hypothetisch ausgewiesen werden, sofern sich diese bereits materialisiert haben.
Veröffentlichungsfristen
Viele Unternehmen laufen Gefahr, die bestehenden gesetzlichen Fristen für die Veröffentlichung der Jahres- und Konzernabschlüsse nicht einhalten zu können. Anders als in anderen Ländern wurden in Deutschland noch keine Erleichterungen beschlossen. Die weiteren Diskussionen sind von Vorstand und Aufsichtsrat weiterzuverfolgen. Grundsätzlich drohen aber bereits aus heutiger Sicht keine ernsthaften Konsequenzen, sofern die Verzögerung unverschuldet ist.
Kapitel 4
Hauptversammlung und Wahl des Abschlussprüfers
Die Hauptversammlung war bislang eine reine Präsenzveranstaltung. Das Pandemie-Gesetz ermöglicht nun eine rein virtuelle Versammlung.
Derzeit bestehen deutschlandweit Versammlungsverbote, Kontaktbeschränkungen und eine große Unsicherheit, wann diese Maßnahmen wieder gelockert werden können. Viele Unternehmen haben jedoch ihren Bilanzstichtag am 31. Dezember und standen bei Ausbruch der Corona-Krise in Deutschland inmitten der Arbeiten zum Jahresabschluss und der Vorbereitung der Hauptversammlung (HV). Bislang war die HV eine Präsenzveranstaltung, von der beispielsweise die Eröffnung und die Reden des Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzenden im Internet übertragen wurden und einzelne Aktionäre mittels Briefwahl oder Stimmrechtsvertretern auch ohne persönliche Teilnahme von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen konnten. Satzungsregelungen, wie in § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG grundsätzlich vorgesehen, die den Aktionären eine Teilnahme ohne Anwesenheit vor Ort und ohne Bevollmächtigten und die Ausübung sämtlicher oder einzelner ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ermöglichen, sind rar. Das Pandemie-Gesetz hat jedoch die Durchführung einer virtuellen HV bei AG, KGaA, VVaG und SE erleichtert, bei gleichzeitiger Reduzierung der Anfechtungsrisiken. Entsprechende Regelungen gelten für GmbHs, Genossenschaften und Vereine.
Das Gesetz räumt dem Vorstand auch ohne Vorliegen entsprechender Satzungsermächtigungen weitreichende Entscheidungsfreiheiten ein, die jedoch der Zustimmung des Aufsichtsrats unterliegen. Der Aufsichtsrat kann seine in diesem Zusammenhang jeweils erforderlichen Zustimmungen abweichend von § 108 Abs. 4 AktG und etwaigen Regelungen in Satzung oder Geschäftsordnung ohne physische Anwesenheit der Mitglieder schriftlich, fernmündlich oder in vergleichbarer Weise beschließen.
So kann die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle HV abgehalten werden. Voraussetzungen dafür sind:
- Bild- und Tonübertragung der gesamten Hauptversammlung,
- Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung,
- Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation,
- Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der HV.
Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, welche Fragen er wie beantwortet. Er kann auch vorgeben, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung elektronisch einzureichen sind. Zudem kann die HV spätestens am 21. Tag vor dem Tag der Versammlung einberufen werden und innerhalb des Geschäftsjahres, anstatt innerhalb der ersten acht Monate, abgehalten werden. Das Gesetz sieht unter anderem angepasste Fristen für den Nachweis des Anteilsbesitzes und Ergänzungsverlangen vor. Der Vorstand kann auch ohne Satzungsermächtigung entscheiden, einen Abschlag auf den Bilanzgewinn nach Maßgabe von § 59 Abs. 2 AktG an die Aktionäre zu zahlen. Dies gilt entsprechend für eine Abschlagszahlung auf die Ausgleichszahlung (§ 304 AktG) an außenstehende Aktionäre im Rahmen eines Unternehmensvertrags.
Die Anfechtung von HV-Beschlüssen wird, mit Blick auf Verletzungen bestehender aktienrechtlicher Vorgaben, zur elektronischen Ausübung der Stimmrechte und Formerfordernisse für Mitteilungen an Aktionäre und Aufsichtsratsmitglieder sowie der Voraussetzungen der präsenzlosen HV (siehe oben), auf Vorsatz der Gesellschaft beschränkt.
Vorstand und Aufsichtsrat können somit abwägen, ob sie die HV auf einen späteren Termin im zweiten Halbjahr verschieben möchten oder aber mit gegebenenfalls geringer Verzögerung eine virtuelle HV abhalten. Sofern die Entscheidung für die virtuelle HV fällt, sind die entsprechenden Beschlüsse zu fassen und die Durchführung entsprechend zu organisieren.
Bei der Entscheidung sollten auch die Auswirkungen auf die Wahl des Abschlussprüfers für das Geschäftsjahr 2020 berücksichtigt werden. Zwar reicht es, den Abschlussprüfer für den Jahres- und Konzernabschlussprüfer vor Ablauf des Geschäftsjahres, auf das sich seine Prüfungstätigkeit erstreckt, zu wählen. Hierbei handelt es sich gemäß Handelsgesetzbuch (HGB) lediglich um eine Soll-Vorschrift, die dem Abschlussprüfer ausreichend Zeit für Planung, Vorbereitung und Prüfungsdurchführung geben soll, und nicht um eine zwingende Vorgabe. Sofern die HV auf das zweite Halbjahr verschoben werden soll, kann jedoch der Abschlussprüfer nicht rechtzeitig vor der Prüfung der Halbjahresabschlüsse bestellt werden. Es erscheint sachgemäß, dass der Aufsichtsrat bzw. der Prüfungsausschuss den Abschlussprüfer – zumindest für die Prüfung der Zwischenabschlüsse – beauftragen kann und die Beauftragung nachfolgend durch die HV bestätigen lässt.
Ähnlicher Artikel
Kapitel 5
Investor Relations
Unsicherheit an den Kapitalmärkten erfordert eine Ad-hocPublizität und birgt Gefahren durch Insiderhandel und aktivistische Investoren.
Insiderhandel und Ad-hoc-Publizität
Grundsätzlich ergeben sich für Unternehmen neue Risiken im Zusammenhang mit COVID-19, die jedoch nicht automatisch allen Anlegern bewusst sind. Daher kommt der Ad-hoc-Publizität zur Kommunikation der für Anleger wesentlichen Risiken entscheidende Bedeutung zu. Gleichzeitig besteht eine erhöhte Relevanz der Anforderungen für die Veröffentlichung von Insiderinformationen nach Art. 17 MAR. Weiterführende Informationen werden laufend auf der COVID-19-Themenseite der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bereitgestellt.
Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie leitende Angestellte sollten keine Wertpapiertransaktionen vornehmen, um die Materialisierung von Risiken bezogen auf Insiderhandel zu verhindern. Vorstand und Aufsichtsrat sollten zudem Möglichkeiten diskutieren, auf die erhöhten Risiken im Bereich Insiderhandel zu reagieren, etwa durch unternehmensinterne Informationskampagnen, Einführung von Sperrfristen oder Intensivierung bzw. Einführung eines umfassenden Genehmigungsverfahrens.
Aktivistische Investoren
Vorstand und Investor Relations sind weiterhin gefordert, die Kommunikation mit bedeutenden Aktionären sicherzustellen; ebenso sollten sie auf Veränderungen der Aktionärsstruktur achten. Gerade bei kleinen und mittleren Fonds ist mit Kapitalreduzierungsmaßnahmen zu rechnen, gleichzeitig bestehen aber bei hoher Marktvolatilität erhöhte Risiken für aktivistische Aktionäre und M&A-Aktivitäten für strategische Portfolioerweiterungen. Vorstand und Aufsichtsrat sollten entsprechend die Abwehr- und Kommunikationspläne aktualisieren, Proxy-Fight-Berater vorhalten und mögliche Abwehrmechanismen inkl. Kapitalerhöhungen diskutieren.
Kapitel 6
Strategische Chancen und die Zeit danach
Die COVID-19-Pandemie bringt auch Chancen. Das Verhalten während der Krise sollte systematisch analysiert und ausgewertet werden.
Strategische Chancen
Derzeit werden Geschäftsmodelle an die kurzfristige Bewältigung der Corona-Krise angepasst. Damit gehen einerseits kurzfristig neue Chancen einher, zum Beispiel neue Geschäftsfelder zur Erfüllung eines ungedeckten Bedarfs aufgrund der Pandemie oder Wachstumschancen durch M&A-Aktivitäten. Andererseits zeichnen sich langfristige Herausforderungen bei operativer Effektivität und Effizienz ab. Beide Dimensionen sollten Vorstand und Aufsichtsrat im Rahmen einer intensivierten Strategiediskussion regelmäßig erörtern.
Die Zeit nach der Corona-Krise
Die COVID-19-Pandemie unterstreicht die Notwendigkeit wirksamer Risiko- und Krisenmanagementprogramme zur Bewältigung extremer und unerwarteter Ereignisse. Dem Rat des Aufsichtsrats kommt aufgrund der kollektiven Erfahrung der Gremienmitglieder hinsichtlich Krisenbewältigung, Restrukturierungsmaßnahmen, unternehmerischer Beurteilung von strategischen Chancen und Herausforderungen eine entscheidende Rolle zu.
Der Aufsichtsrat kann den Vorstand nicht nur beim Krisenmanagement, sondern auch bei Aufbau und Stärkung entsprechend resilienter Unternehmensstrukturen substanziell unterstützen. Sobald die akuten Auswirkungen der Corona-Krise gemildert sind, sollten Vorstand und Aufsichtsrat folgende Punkte diskutieren und Maßnahmen beschließen:
- potenziell dauerhafte Auswirkungen der durch die Pandemie verursachten Verhaltensänderungen von Stakeholdern
- Analyse und Bewertung der Krisenreaktion des Unternehmens
- Funktionsbewertung der Umsetzung des Notfallplans
- Lessons Learned zur Steigerung der Resilienz für zukünftige Ereignisse
Ähnlicher Artikel
Fazit
Die Corona-Krise wirbelt auch die Board Agenda von Vorständen und Aufsichtsräten durcheinander. Es gibt keinen Unternehmensbereich, der nicht von der Pandemie betroffen ist. Es gilt, akutes Risiko- und Krisenmanagement zu meistern (z. B. Schutz der Mitarbeiter, IT-Sicherheit oder Sicherstellung der Produktion). Ebenso müssen unter anderem der Jahresabschluss, virtuelle Hauptversammlungen und die Wahl des Abschlussprüfers bedacht werden. Doch die Krise bietet auch Chancen: Unternehmen, die sich jetzt strategisch klug verhalten, können gestärkt aus ihr hervorgehen.