12 Minuten Lesezeit 5 April 2024
Wie Effi dem TOM auf die Sprünge hilft

Wie Effi dem TOM auf die Sprünge hilft

Von Paul Thürmann

Partner, Tax Technology & Indirect Tax Innovation Leader Europe West, EY Tax GmbH Steuerberatungsgesellschaft | Deutschland

Unterstützt Unternehmen bei der Automatisierung steuerlicher Entscheidungen und dem transaktionalen Datenmanagement; Vater von drei Kindern, lebt mit seiner Familie im Biosphärenreservat bei Berlin.

Co-Autoren
12 Minuten Lesezeit 5 April 2024

Künstliche Intelligenz steigert die Leistung der Steuerabteilung immens. Ein Fallbeispiel der Tüftelfleißig AG.

Überblick

  • Hunderte Millionen Nutzerinnen und Nutzer ließen sich von der künstlichen Intelligenz begeistern.
  • Die Integration von KI in der Steuerabteilung führt zu einer signifikanten Zeit- und Kosteneinsparung.
  • Durch die Integration von KI wird der Wandel der Steuerfunktion von einer isolierten Stabstelle zu einem integralen Bestandteil der Unternehmensprozesse unterstützt.
  • Sie wollen sich intensiver mit den Möglichkeiten des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz in der Steuerfunktion beschäftigen? Hier gelangen Sie zu unseren Workshop-Angeboten.  

Im November 2022 sorgte ChatGPT, ein im Internet verfügbarer Chatbot, weltweit für Aufsehen. Hunderte Millionen Nutzerinnen und Nutzer ließen sich von der künstlichen Intelligenz begeistern, die OpenAI mit Hochleistungscomputern und einer bisher unerreichten Menge an Daten trainierte. Als Microsoft das Sprachmodell Anfang 2023 auch für Unternehmenskunden in einer privaten und datengeschützten Umgebung bereitstellte, ergriff der CFO der Tüftelfleißig AG die Initiative. Er beauftragte die IT-Abteilung, einen eigenen Chatbot für die Beschäftigten des Maschinenbauunternehmens zu konstruieren.

Innerhalb weniger Wochen gelang es der IT-Abteilung, eine intuitive Chat-Oberfläche auf die Beine zu stellen. Die Entwicklung des Chatbots war aus Sicht der Programmierer erstaunlich unkompliziert, sodass sie über die ursprünglich geplante Chatfunktion hinaus Funktionen zum Durchsuchen von Dokumenten und Internetseiten bereitstellten. Das Ergebnis war „Effi“, ein Chatbot zur Steigerung der Effizienz innerhalb der Tüftelfleißig AG. Bei dem Maschinenbauer handelt es sich um ein fiktives Unternehmen, das EY für das Tax & Law Magazine erschaffen hat, um beratungsrelevante Themen unter Beachtung des Daten- und Vertrauensschutzes anschaulich darzustellen.

Mit der Einführung von Effi forderte der CFO die Fachbereiche auf, den Status quo in den Finanzprozessen zu hinterfragen. Er beauftragte die Abteilungsleiter damit, die Prozesse in Bezug auf manuelle Routinetätigkeiten zu analysieren und Verbesserungsmöglichkeiten durch den Einsatz generativer KI zu identifizieren. Unterstützend organisierte er Schulungen, die das Verständnis für die Einsatzmöglichkeiten KI-basierter Sprachmodelle schärften und das Potenzial im Datenmanagement und in der Prozessoptimierung aufzeigten. Die Mitarbeitenden fühlten sich ermutigt, bestehende Abläufe neu zu denken.

Die ersten Erfolge …

So auch in der Steuerabteilung: Mit Blick auf die erhofften Effizienzgewinne beim Tax Operating Model (TOM) nahmen die fünf durchaus nicht wenig gestressten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Herausforderung an. Sie beauftragten Effi, die Umsatzsteuerberichte aus den verschiedenen ERP-Systemen in eine standardisierte Struktur für die monatliche Umsatzsteuervoranmeldung zu überführen. Nach einigen Anläufen und unterstützenden Arbeitsanweisungen, wie beispielweise der Untergliederung der Hauptprozesse in Teilarbeitsschritte, war Effi in der Lage, die steuerrelevanten Daten aus den Berichten zu extrahieren, zu bereinigen und zusammenzufassen – ein durchschlagender Erfolg.

… machen Lust auf mehr

Die Steuerabteilung war begeistert von Effis Fähigkeiten im Umgang mit Daten und beschloss, den Prozess für zukünftige Voranmeldungszeiträume weiter zu automatisieren. Sie wies Effi an, einen Programmcode zur Aufbereitung des Datenmaterials zu erstellen und diesen für die Verfahrensdokumentation in einem Flow Chart zu visualisieren. Schritt für Schritt entstand im Wechselspiel zwischen Mensch und KI ein VBA-Skript für den steuerlichen Deklarationsprozess, das neben der Effizienzsteigerung zu einer erheblichen Senkung des Fehlerpotenzials führte.

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Wie Effi dem TOM auf die Sprünge hilft

Ran an die Verträge

Um die Stärken von Effi auch im Bereich der Textverarbeitung zu nutzen, experimentierten die Mitarbeitenden der Steuerabteilung in den Folgemonaten mit der automatisierten Prüfung von Verträgen.

Mit den Prompt-Vorlagen, die sie in den Schulungen bereitgestellt bekommen hatten, waren sie in der Lage, detaillierte Anweisungen zur Bearbeitung von Verträgen zu geben. Basierend auf den identifizierten Sachverhaltsinformationen und einem gegebenen Prüfschema sollte Effi die steuerliche Entscheidung ableiten und die einzelnen Prüfschritte zur Validierung ihrer Entscheidung nachvollziehbar erläutern.

80 Prozent zutreffend klassifiziert

Nach Feinjustierung der Prompt-Vorlage war das Ergebnis beeindruckend gut: Effi war in der Lage, 80 Prozent der Sachverhalte zutreffend hinsichtlich der Leistungsart zu klassifizieren und eine korrekte steuerliche Entscheidung zu treffen. Zudem prüfte sie in Sachen der Quellensteuerpflicht erfolgreich, ob Brutto- oder Nettovereinbarungen vorlagen. Im Zusammenhang mit Effis Internetsuchfunktion war das Ziel, einen kontinuierlichen Monitoringprozess für Rechtsänderungen zu etablieren. Der Prozess sollte das Scannen von präferierten Internetseiten, die Extraktion von Rechtsänderungen und die Abfrage hinsichtlich ihrer Relevanz für die Tüftelfleißig AG umfassen. Ein Vorhaben, das die Verknüpfung mit den ERP-Daten erforderte.

Steuerliches Wissen nutzen

Angeregt durch die positiven Erfahrungen mit generativer KI spielte die Steuerabteilung mit dem Gedanken, eine direkte Verbindung zwischen Effi und den Dokumenten auf ihren Laufwerken, den steuerlichen Datenbanken und den ERP-Systemdaten herzustellen, um eine unmittelbare Interaktion mit diesen Informationsquellen zu ermöglichen. Die IT-Abteilung bestätigte, dass die Integration von Daten, sowohl strukturiert als auch unstrukturiert, möglich sei. Allerdings erfordere dies eine sorgfältige Vorbereitung und Klassifizierung der steuerrelevanten Daten in einem Data Mart sowie die Nutzung weiterer Technologiekomponenten, wie eines steuerlichen Regelwerkes, einer Vektordatenbank, einer erweiterten Nutzeroberfläche und einer Prompt Extension Engine zur Regulierung des Sprachmodells.

Digital Tax Intelligence von EY

Aufgrund der komplexen Anforderungen der Steuerabteilung an die Aufbereitung und Verarbeitung von steuerlichen Daten entschied sich die IT-Abteilung nach einer Make-or-Outsource Abwägung, die Softwarelösung Digital Tax Intelligence von EY zu abonnieren. Mit der Software schaffte der Maschinenbauer die Möglichkeit, eine steuerliche Wissensdatenbank aufzubauen, in die sowohl die strukturierten Daten aus den ERP-Systemen als auch die unstrukturierten Daten von den Laufwerken integriert wurden. Durch die Verbindung des steuerlichen Wissens und des Sprachmodells, welches die Steuerabteilung bereits auch schon gewinnbringend mit Effi eingesetzt hatte, erweiterte sich das Spektrum nutzbarer Prompts signifikant.

Ständiger Überblick

Seit der Einführung von Digital Tax Intelligence hat sich die Effizienz der Steuerabteilung weiter verbessert. Mit dem digitalen Assistenten kann die Abteilung jetzt eine Vielzahl von Dokumenten gleichzeitig durchsuchen und steuerliche Fragen beantworten lassen. Durch die Anbindung an die ERP-Systeme gewährt die Lösung zudem einen ständigen Überblick über steuerliche Sachverhalte und unterstützt die Abteilung dabei, die Qualität der steuerlichen Entscheidungen direkt im Geschäftsablauf zu beeinflussen.

Alle Abteilungen profitieren

Die strukturierte Darstellung der steuerlichen Anforderungen in Digital Tax Intelligence hilft zudem, Lücken in der Sachverhaltsaufzeichnung zu erkennen, um sie systematisch in den Unternehmenssystemen nachpflegen zu können. Auf diese Weise gelingt es der Steuerabteilung zunehmend, die in den Bestellungen, Aufträgen und Lieferdokumenten erfassten Daten konsistent zu halten und Ungereimtheiten frühzeitig zu eliminieren – ein wichtiger Schritt, von dem nicht nur die Steuerfachleute, sondern auch andere Fachbereiche profitieren.

Aktiv am Geschäftsgeschehen teilnehmen

Die direkte Interaktion mit ERP-Daten ermöglicht es der Steuerabteilung, Anfragen schnell zu bearbeiten und die Auswirkungen von Rechtsänderungen zu analysieren. Komplexe Fragen zu Geschäftstransaktionen können ohne Umwege über andere Abteilungen geklärt werden. Weiterhin kann aus den in der Lösung integrierten Gültigkeitsabfragen von steuerlichen Stammdaten ein erheblicher Nutzen gezogen werden. Die Software ebnet der Steuerabteilung so den Weg zu einer wertschöpfenden Rolle im Unternehmen. Seit der Implementierung von Digital Tax Intelligence gewinnt die Steuerabteilung fortlaufend tiefe Einblicke in Prozesse und Geschäftsvorfälle und kann so weitaus aktiver am Geschäftsgeschehen der Tüftelfleißig AG teilnehmen.

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Wie Effi dem TOM auf die Sprünge hilft

Theorieausflug zur TOM-Transformation

KI wirkt wie ein Katalysator, mit dessen Hilfe sich Daten sehr viel einfacher verarbeiten lassen. Daten sind eine der wichtigsten Ressourcen im Tax Operating Model, da sie die Besteuerungsgrundlagen abbilden. Viele Steuerabteilungen waren bislang noch nicht in der Lage, effizient mit diesen Daten umzugehen. KI ändert dies dramatisch, indem sie vorhandene Ressourcen besser ausgestaltet.

Reifegradmodell: KI wird zum Katalysator für die Evolution des Tax Operating Model

Fünf Ressourcen

Generell sind für die Erfüllung steuerlicher Aufgaben bestimmte Ressourcen nötig. Neben den Daten sind dies vor allem Organisation, Personal, Prozesse und Systeme (Abbildung Pyramide). Steuerliche Deklarationen als Ergebnis der operativen Steuerfunktion werden unmittelbar aus der Ressource Daten abgeleitet (Basis der Pyramide), die in Systemen entlang der unternehmerischen Prozesse verarbeitet werden. Dem Personal kommen dabei mehrfache Rollen zu, darunter Prozessgestaltung, Prozessverantwortung oder Aufgabenbearbeitung. Die Organisation schafft den Rahmen für die Erfüllung der steuerlichen Aufgaben des Unternehmens. Alle Ressourcen der Steuerfunktion sind in ihrem Zusammenspiel auf die unternehmerischen Werttreiber gerichtet, insbesondere Risikominimierung, Effizienzsteigerung und Liquiditätsoptimierung.

Vom Stab zur Matrix

Mit fortschreitender Digitalisierung ändert sich die Struktur der Ebenen. War die Steuerabteilung früher meist als Stabfunktion organisiert, wird sie zunehmend in eine Matrixorganisation integriert. Das führt zu einer engen Verzahnungen mit dem Business und anderen Fachbereichen. Hierdurch ändern sich die Kompetenzprofile der Mitarbeitenden in der Steuerabteilung deutlich. Waren sie bisher Wissensanwender bei der Bearbeitung steuerlicher Anfragen, Strukturierungen oder den regelmäßigen Compliance-Reportings, sind sie künftig vermehrt mit Projekt- und Prozessmanagement-Skills und einer gesunden Portion an technischem Know-how ausgestattet.

Reifegradmodell: KI wird zum Katalysator für die Evolution des Tax Operating Model

An einem Strang

Dies führt dazu, dass Prozesse reibungsloser über eingespielte Workflows funktionieren und Kommunikation über maschinelle Schnittstellen orchestriert wird. Der traditionelle Ansatz war von einer Kommunikation per Telefon oder E-Mail geprägt und würdigte Sachverhalte losgelöst von den zugrunde liegenden Daten. Nun wird die bisherige isolierte Tätigkeit im Steuersilo in eine integrierte Arbeitsweise überführt, in der die Akteure sichtbar zur gleichen Zeit an einem Strang ziehen. Dabei verfolgen die Akteure stets das gemeinsame Ziel, die Basis ihres Geschäfts, nämlich die Enterprise-Systeme und die darin aufgezeichneten Datenflüsse so gut wie möglich aufzusetzen und zu nutzen. Vor diesem Hintergrund sind alle bemüht, operative Effizienz durch datenbasierte Unternehmensentscheidungen zu erreichen. Auch die Steuerabteilung ist auf Datenqualität angewiesen, um Entscheidungen zu treffen.

Die Tabelle zeigt die Entwicklung des Tax Operating Model in den Bereichen Governance und Organisation, Personal, Prozesse, Systeme und Daten, wobei der Fokus auf der Verschiebung von einer isolierten zu einer integrierten Arbeitsweise liegt.

Vorteile

Elektronisch vorliegende Daten bilden die Voraussetzung für die Nutzung von KI bei der Ermittlung steuerlicher Konsequenzen und deren Meldung an die Finanzbehörden. Umgekehrt gilt: Je weniger Tatbestandsmerkmale in elektronischer Form vorliegen, desto mehr ist eine händische Beschäftigung des Personals mit steuerlichen Regelungen notwendig. Auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sollte die Zielsetzung darin bestehen, steuerliche Konsequenzen datenbasiert, automatisiert und standardisiert zu ermitteln. Das bedingt, dass möglichst alle steuerrelevanten Geschäftsdaten strukturiert und zutreffend aufgezeichnet werden. Die positiven Effekte aus der Erhöhung der steuerlichen Datenqualität sind entsprechend vielfältig:

  • Minimierung von Risiken durch lückenlose Nachweise steuerlicher Compliance,
  • weniger steuerlicher Kontrollaufwand der Geschäftstätigkeit,
  • geringere operative Kosten durch zuverlässige Automatisierung,
  • Reduktion von Schulungs- und Abstimmungsaufwand.
Tax Prompt Cheat Sheet: Daten & Technologie
Tax Prompt Cheat Sheet: Prozesse & Personal

Missverständnisse beseitigen

Bei der konkreten Ausgestaltung des steuerlichen Datenmanagements zeigen sich in der Praxis immer wieder organisatorische Hürden. So gehen die Geschäftsbereiche und die Steuerabteilung nicht selten davon aus, dass die IT-Abteilung weiß, wie mit Daten umzugehen ist. Die IT-Abteilung wiederum sieht Daten lediglich als notwendiges Element, um einen Prozess abzuschließen. Die Folge sind Missverständnisse und Zuständigkeitsdefizite, die ihren Ursprung darin haben, dass Daten nicht als eigenständige Ressource verstanden werden. Umso mehr sind klare Verantwortungen zu definieren: Für Daten inhaltlich verantwortlich sind die Geschäftsbereiche bzw. die Steuerabteilung. Die Sicherstellung der Datenqualität leistet in den meisten Unternehmensorganisationen nicht die IT-Abteilung. Sie stellt lediglich die Infrastruktur und die Systeme zur Verfügung, um Daten effizient zu managen und zu nutzen.

Funktionswandel

Mit dem technologiegetriebenen Wandel des Tax Operating Model sind Steuerabteilungen nicht mehr länger reparierend tätig, sie agieren vielmehr als Überwacher. Dafür stehen rund um die Uhr arbeitende Monitoring-Lösungen zur Verfügung, die Geschäftsdaten analysieren und den Bedarf von punktuellen Eingriffen durch die Steuerfunktion rechtzeitig signalisieren. Der Fokus liegt nun darauf, Sachverhalte vollständig und konsistent in den Datenmodellen des ERP-Systems abzubilden, statt sie im Rahmen der Beratung mühselig per Telefon oder E-Mail einzusammeln. Dabei wird die Qualität der Daten anhand von Key Performance Indicators (KPIs) gemessen. Weitere Vorteile sind Kostenreduktion, Minimierung von Fehlern und eine enge Zusammenarbeit von Steuerabteilung und Geschäftsbetrieb.

Tax Prompt Cheat Sheet: Daten & Technologie
Tax Prompt Cheat Sheet: Prozesse & Personal
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Bilanz bei Tüftelfleißig nach einem Jahr

Zurück zur Tüftelfleißig AG. Ein Jahr nach dem Beschluss der Geschäftsführung, ein Top-down-Projekt zur Nutzung von künstlicher Intelligenz zu initiieren, geht die Leiterin Steuern den Post-Implementierungsbericht durch.

Dank der generativen KI ließen sich die aufgewendeten Zeiten für die manuelle Aufbereitung und Zusammenführung steuerlicher Daten aus unterschiedlichen ERP-Systemen von 120 Stunden auf zehn Stunden im Monat senken. Die damit verbundene Standardisierung der Deklarationsunterlagen führte zu einer Reduktion der Steuerberatungskosten um 20 Prozent, da der Bedarf an Rückfragen und weiteren Klärungen sowohl bei nationalen als auch bei internationalen Sachverhalten signifikant zurückgegangen war.

Ressourcen fürs Kontrollsystem

Dank der gewonnenen Zeit konnte sich die Steuerabteilung dem Aufbau ihres Kontrollsystems widmen – ein Vorhaben, das zuvor aufgrund des Personalmangels zurückgestellt werden musste. Die generative KI spielte auch dabei eine Schlüsselrolle: Sie unterstützte nicht nur bei der Programmierung von steuerlichen Compliance-Test-Routinen, sondern generierte auch die erforderlichen Abschnitte zur Verfahrensdokumentation durch die Erstellung von klar strukturierten Flussdiagrammen. Für die Steuerabteilung war dies ein Moment der Erleichterung, denn die Anfrage des Betriebsprüfers nach der Dokumentation zum internen Kontrollsystem hatte bereits für Spannungen gesorgt.

Raus aus dem Krisenmodus

Bevor die Geschäftsleitung der Tüftelfleißig AG die KI-Initiative ins Leben gerufen hatte, befanden sich die fünf Mitarbeitenden der Steuerabteilung oft im Krisenmodus. Mit Schrecken beendeten sie eine Betriebsprüfung, bei der aufgrund von unvollständig aufgezeichneten Transportvereinbarungen ein Mehrergebnis von 1,7 Millionen Euro Umsatzsteuer für Reihengeschäfte festgesetzt wurde. Zugleich bemängelte der Prüfer aufgrund der fehlenden Verfahrensdokumentation zum innerbetrieblichen Kontrollsystem die Nachvollziehbarkeit der Buchführung.

Unangenehme Fragen und Suchen …

Aufgrund der fehlenden Automatisierung war die Geschäftsvorfallabwicklung der Steuerabteilung von unerfreulichen Diskussionen mit den Fachbereichen Vertrieb, Einkauf, Buchführung und IT geprägt. Die Sachverhaltsaufklärung war mühsam und fehleranfällig, da sich das Business nicht verantwortlich fühlte, steuerliche Tatbestandsmerkmale in den Unternehmenssystemen zu erfassen. Folglich stützte sich die Steuerabteilung bei der Entscheidungsfindung auf die manuelle Vertragsprüfung, die aufgrund der Vielzahl von Transaktionen mit einem hohen Ressourceneinsatz einherging. Nachdem die richtige steuerliche Einschätzung für einen Geschäftsvorfall gefunden und in Textform per E-Mail an das Business übergeben wurde, musste das Ergebnis durch den jeweiligen IT-Ansprechpartner für den Einzelfall hinterlegt und freigeben werden, bevor die Rechnung erzeugt bzw. gebucht werden konnte.

… haben ein Ende

Die Feststellung der Betriebsprüfung sensibilisierte die Mitarbeitenden der Tüftelfleißig AG dafür, die Qualität der in den ERP-Systemen erfassten Daten zu verbessern. Im Zusammenhang mit dem übergeordneten KI-Projekt integrierte die Steuerabteilung deshalb Kontrollen zur Erfassung von steuerlichen Sachverhalten direkt in die Geschäftsprozesse und schuf eine Verbindung zu den ERP-Daten. Dieser Schritt ermöglichte ein präventives Datenmanagement und vereinfachte den Zugriff auf steuerrelevante Informationen erheblich. Durch die Anbindung der steuerlichen Kontrollen an die Unternehmenssysteme wurde ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess der Datenqualität in Gang gesetzt. 

Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit

Die veränderte Arbeitsweise setzte zusammen mit den erzielten Effizienzsteigerungen nicht nur Kapazitäten für wertschaffende Arbeiten frei, sondern führte auch zu mehr Arbeitszufriedenheit in der Steuerabteilung. Zuvor geäußerte Bedenken lösten sich auf. Entgegen der Befürchtung, durch die KI ersetzt zu werden, genossen die Mitarbeitenden laut Post-Implementierungs-Review eine intensivere und aktivere Rolle in den Unternehmensabläufen. Positiv vermerkten sie zudem die verstärkte Kooperation mit anderen Fachbereichen. Dadurch ließen sich auch steuerliche Diskrepanzen im Reportingprozess deutlich reduzieren und aufwendige Nacharbeiten vermeiden.

Effi hilft auch bei Pillar II

Die Hilfe des Chatbots Effi kam bei der Modernisierung des TOM sprichwörtlich im allerletzten Moment. Denn die Tüftelfleißig AG stand plötzlich vor einem Berg neuer Verpflichtungen, von Umweltsteuern über Pillar-II-Reporting-Anforderungen bis hin zur obligatorischen Einführung der elektronischen Rechnung. Lösungen für die anstehenden Aufgaben erschienen kaum möglich.

"AI-ready tax data" bildet die Basis für signifikante Wertschaffung

Reflexion und Ausblick

Die Erfolgsgeschichte der Tüftelfleißig AG zeigt, wie generative KI die Steuerabteilung leistungsfähiger machen kann. Insbesondere die Schulungen und die bereitgestellten Prompt-Templates erwiesen sich als entscheidende Antriebsfaktoren. Sie trugen wesentlich dazu bei, dass die Steuerabteilung schnell erste Erfolge mit KI erzielen konnte. Effizienzsteigerungen wurden bereits nach wenigen Wochen sichtbar. Mit intensiverer Nutzung wurde der Steuerabteilung der Tüftelfleißig AG zunehmend klar, dass der Schlüssel zur Automatisierung und Compliance in der zutreffenden Sachverhaltsaufzeichnung liegt. Mit ihrem Vertrauen in die KI legte sie den Grundstein für das datenbasierte Steuermanagement der Tüftelfleißig AG. Der Transformationsprozess ist dabei noch längst nicht abgeschlossen, Schritt für Schritt finden stetige Prozessverbesserungen statt.

Im dynamischen Geschäftsumfeld der Tüftelfleißig AG wird KI insbesondere dafür eingesetzt, die Qualität der steuerlichen Datenhaltung sicherzustellen und die Datenanalyse in Echtzeit zu ermöglichen. Parallel dazu sorgen die Fachbereiche für Vertrieb und Einkauf für eine detaillierte Erfassung steuerrelevanter Geschäftsfälle in den Unternehmenssystemen und schaffen damit die Basis für eine effiziente und präzise Beurteilung der steuerlichen Sachverhalte. Es wurde ein fortlaufender Prozess der Optimierung in Gang gesetzt, der die Qualität der Stammdaten wie auch der transaktionsbezogenen Geschäftsdaten Monat für Monat erhöht. Durch diese Steigerung der Prozesseffizienz und der Datenqualität leistet die Steuerabteilung einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Tüftelfleißig AG.

Eine kleine Geschichte der KI

  • 1936 Turingmaschine

    Der britische Mathematiker Alan Turing beweist durch seine Theorien: Eine Rechenmaschine wäre in der Lage, kognitive Prozesse auszuführen, sofern diese sich in mehrere Einzelschritte zerlegen und durch einen Algorithmus darstellen lassen. Damit legt er den Grundstein für das, was wir heute unter Künstlicher Intelligenz verstehen.

    Portraitfoto von Alan Turin
  • 1951 Erster Neurocomputer

    Der US-Mathematiker Marvin Minsky konstruiert die erste Maschine mit einem künstlichen neuronalen Netz. SNARC (Stochastic Neural Analog Reinforcement Computer) simuliert das Verhalten von Laborratten und kann den schnellsten Weg aus einem Labyrinth finden. Damit verfügt er über gewisse Lernfähigkeiten. Die Maschine besteht aus 40 Neuronen (GPT-4: mehr als 100 Billionen solcher Knotenpunkte). 

  • 1956 Der Begriff „KI“ entsteht

    Im Sommer treffen sich Wissenschaftler am Dartmouth College in New Hampshire. Sie sind der Ansicht, dass Aspekte des Lernens sowie andere Merkmale der menschlichen Intelligenz von Maschinen simuliert werden können. Der Programmierer John McCarthy schlägt den Begriff „Künstliche Intelligenz“ vor. Während der Konferenz wird mit dem „Logic Theorist“ – der es schafft, mehrere Dutzend mathematische Lehrsätze zu beweisen – das erste KI-Programm der Welt geschrieben.

    Dartmouth College
  • 1966 Geburt des ersten Chatbots

    Der deutsch-amerikanische Informatiker Joseph Weizenbaum vom Massachusetts Institute of Technology erfindet ein Computerprogramm, das mit Menschen kommuniziert. Über Skripte simuliert „ELIZA“ verschiedene Gesprächspartner, beispielsweise einen Psychotherapeuten. Weizenbaum ist überrascht, mit welch einfachen Mitteln „ELIZA“ die Illusion eines menschlichen Gesprächspartners erzeugen kann. 

  • 1972 Durchbruch in der Medizin

    Mit „MYCIN“ findet KI den Weg in die Praxis: Das von Ted Shortliffe an der Stanford University entwickelte Expertensystem wird zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt. Expertensysteme sind Computerprogramme, die das Wissen eines bestimmten Fachgebietes durch Formeln, Regeln und eine Wissensdatenbank bündeln. 

  • 1986 „NETtalk“ spricht

    Durch Eingabe von Beispielsätzen und Phonemketten bringen Terrence J. Sejnowski und Charles Rosenberg Computern das Sprechen bei. „NETtalk“ kann Wörter lesen und korrekt aussprechen sowie das Gelernte auf ihm unbekannte Wörter anwenden. Damit ist es eines der frühen künstlichen neuronalen Netze (Programme, die mit großen Datensätzen gefüttert werden und darauf aufbauend eigene Schlüsse ziehen können). In Aufbau und Funktion ähneln sie damit dem menschlichen Gehirn.

  • 1997 Schachweltmeister

    Die IBM-Maschine „Deep Blue“ bezwingt Schachweltmeister Garry Kasparov. Dies gilt als historischer Erfolg der Maschinen in einem Bereich, der bislang vom Menschen dominiert wurde. Kritiker werfen ein, „Deep Blue“ habe nicht durch kognitive Intelligenz, sondern nur durch das Berechnen aller denkbaren Züge gewonnen. 

    Die IBM-Maschine „Deep Blue“ bezwingt Schachweltmeister Garry Kasparov
  • 2011 „Siri“ redet mit uns

    Leistungsstarke Prozessoren und Grafikkarten in Computern, Smartphones und Tablets ermöglichen eine verbreitete Nutzung von KI-Programmen. Insbesondere Sprachassistenten erfreuen sich großer Beliebtheit: Apples „Siri“ kommt 2011 auf den Markt, 2014 stellt Microsoft die Software „Cortana“ vor und Amazon präsentiert 2015 „Alexa“.

    Lautsprecher mit Sprachassistenzsystem
  • 2011 „Watson“ gewinnt Quizshow

    Der Supercomputer „Watson“ tritt in Form eines animierten Bildschirmsymbols in einer amerikanischen TV-Quizshow an und gewinnt gegen die Mitspieler aus Fleisch und Blut. Der nach dem IBM-Gründer Thomas J. Watson benannte Computer beweist, dass er die natürliche Sprache versteht und schnell auf schwierige Fragen antworten kann.

  • 2016 Go-Meister

    Das asiatische Brettspiel Go ist bekannt für seine nahezu unendliche Vielfalt an möglichen Spielzügen. Dem Computerprogramm AlphaGo gelingt es, den südkoreanischen Ausnahmespieler Lee Sedol zu besiegen. Die Software verwendet neuronale Netzwerke. Damit ist sie lernfähig. Sie kennt nicht nur alte Spielzüge, sondern findet auch während des Duells immer neue Lösungen. 

  • 2018 Ich hätt gern ’nen Friseurtermin

    Google demonstriert auf einer Konferenz, wie die KI „Duplex“ beim Friseur anruft und im Plauderton einen Termin vereinbart – ohne dass die Dame am anderen Ende der Leitung merkt, dass sie mit einer Maschine spricht. Der „Project Debater“ von IBM liefert sich mit zwei Debattiermeistern ein Rededuell über komplexe Themen. 

  • 2022 ChatGPT geht online

    Das Unternehmen OpenAI veröffentlicht im November einen Link zu ChatGPT. Auf chat.openai.com können Menschen in Echtzeit mit dem Chatbot schreiben. In Sekundenschnelle liefert er auf komplexe Fragen detaillierte Antworten. ChatGPT kann Lyrik im Stil berühmter Dichter erfinden oder ganze Aufsätze verfassen. Dazu wird das System mit Abermillionen Texten aus dem Internet gefüttert. Der Textgenerator analysiert die riesigen Datenmengen, indem er berechnet, welche Wörter statistisch gesehen besonders häufig zusammenauftreten. ChatGPT konstruiert seine Texte also nach dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit. Damit ist das System aber auch anfällig für Fehler. Eine echte Intelligenz ist es nicht. 

  • 2023 GPT-4 – ein Funken Intelligenz?

    Nur rund drei Monate später präsentiert Open AI im März 2023 das Nachfolgerprogramm GPT-4. Das System hat seinen Wortschatz erweitert und kann jetzt unter anderem auch mit Bildern und Videos arbeiten. ChatGPT ist die wohl am schnellsten wachsende Webanwendung in der Geschichte und knackt in nur zwei Monaten die 100 Millionen-Nutzermarke. 

    100 Millionen Nutzer erreicht nach ... Monaten

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Fazit

Die Integration von KI in der Steuerabteilung der Tüftelfleißig AG führte zu einer signifikanten Zeit- und Kosteneinsparung. Darüber hinaus steigerte sie die organisatorische Effizienz und die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Die dadurch geförderte aktive Teilnahme der Steuerfunktion am Geschäftsgeschehen und die verbesserte Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen illustrieren den Wandel der Steuerfunktion von einer isolierten Stabstelle zu einem integralen Bestandteil der Unternehmensprozesse.

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Über diesen Artikel

Von Paul Thürmann

Partner, Tax Technology & Indirect Tax Innovation Leader Europe West, EY Tax GmbH Steuerberatungsgesellschaft | Deutschland

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