Säule I: Neue Besteuerungsrechte und Transfer Pricing-Safe-Harbour-Regelung
Rasant wachsende digitale Geschäftsmodelle führten ursprünglich zum Ruf, sich bei der Besteuerung großer und erfolgreicher Unternehmen deutlicher an deren Marktpartizipation in einzelnen Staaten zu orientieren und sie dort zu besteuern, wo der Umsatz entsteht. Die Einigung lautet nun, dass Besteuerungsrechte an Unternehmen mit über 20 Milliarden Euro Umsatz und über 10 Prozent Vorsteuerrendite neu geordnet werden sollen – branchenübergreifend, mit Ausnahme der Rohstoffindustrie und regulierten Finanzdienstleistungen. Durch die hohe Profitabilitätsschwelle wird die Regelung zunächst ungefähr 100 Unternehmen betreffen, in Deutschland kein Dutzend. Erwirtschaftet eines dieser Unternehmen mehr als 10 Prozent seines Umsatzes in einem Staat, sollen auch mindestens 20 Prozent des Gewinnes dort besteuert werden (sog. „Amount A“).
Daneben wurde im Rahmen der ersten Säule auch eine international einheitliche Vergütungshöhe für Marketing- und Routinevertriebsaktivitäten von Konzerngesellschaften angestrebt, die in einem Marktgebiet ansässig sind. Standardisierte Vergütungen sollen die Zahl der Gerichts- und Verständigungsverfahren verringern und somit einen sicheren Hafen für die fremdüblichen Vergütungen schaffen („Amount B“). Der Anwendungsbereich ist noch nicht abschließend ausgearbeitet und obschon er sich durch einen Positiv- und einen Negativkatalog sowie quantitative Indikatoren ergeben soll, ist er nicht an „Amount A“ geknüpft. Die Tragweite der Safe-Harbour-Regelung könnte unter Umständen noch deutlich mehr umfassen als die neu zugewiesenen Besteuerungsrechte.
Von den Maßnahmen unter Säule I könnten insbesondere Schwellenländer wie Indien, Brasilien und China als bedeutende Marktstaaten internationaler (Digital-)Unternehmen profitieren, doch versprechen sich die Finanzminister einen flächendeckenden Anstieg der Steuereinnahmen von 200 bis 300 Millionen Dollar durch diese Maßnahme.
Säule II: Mindeststeuer
Mit geschätzten Mehreinnahmen von bis zu 800 Millionen US-Dollar hat jedoch der Beschluss, künftig eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent für Unternehmen einzuführen, eine noch größere fiskalische Tragweite. Hiervon werden auch deutlich mehr Unternehmen betroffen sein, da laut OECD grenzüberschreitende konzerninterne Zahlungen an Niederlassungen in Ländern mit besonders niedrigen Steuersätzen durch die Maßnahme verhindert werden sollen. Diese Maßnahme soll Gewinnverlagerungen und den Wettbewerb der Staaten um die günstigsten Steuerbedingungen unterbinden. Erfasst werden multinationale Unternehmen, die einen Mindestumsatz von 750 Millionen Euro generieren. Länder, deren Steuersätze nicht die ebenfalls noch diskutierte Grenze von 15 Prozent erreichen, werden durch die Reform indes nicht gezwungen, ihre Steuersätze nominal zu erhöhen. Vielmehr sollen die Heimatländer der Unternehmen im Wege der Hinzurechnungsbesteuerung die Differenz zum Steuersatz effektivsteuerlich erfassen oder den entsprechenden Betriebsausgabenabzug versagen. Die Detailregelungen sollen bis Oktober 2021 ausformuliert werden, sodass eine Umsetzung ab 2022 beginnen kann.
Digitalsteuer und CBAM
Weltweite Vorstöße zur Ein- und Fortführung einzelner Digitalsteuern wären mit der neuen Weltsteuerordnung obsolet und würden die Verhandlungsergebnisse möglicherweise konterkarieren, sodass auch die EU-Kommission ihre Arbeiten an der „Digital Levy“ einstweilen ruhen lässt. Die Finanzverwaltungen werden diese Ansätze jedoch erst verwerfen, wenn der ambitionierte Zeitplan der OECD auch eingehalten wird. Ein zusätzlicher Aspekt könnte sich durch die EU-CO2-Grenzausgleichsabgabe (CBAM) ergeben, da sich durch die damit verbundenen Neuerungen das Handelsgefüge der EU signifikant verändern könnte. Kritische Äußerungen von den EU-Handelspartnern, die darin eine verbotene, zollgleiche Maßnahme erkennen, führen derzeit dazu, dass die Handelspartner bereits individuelle Einigungen mit den EU-Staaten suchen. Auf dem Gebiet der CO2-Besteuerung sind aufgrund drohender Handelsstreitigkeiten bereits erste Schritte zu einer neuen Weltsteuerordnung erfolgt, die als Blaupause für die multilaterale Verständigung innerhalb der OECD dienen könnten.
Fazit
Der politische Konsens für eine neue Weltsteuerordnung wurde erreicht, mit 132 von 139 Staaten hat eine beachtliche Mehrheit im OECD Inclusive Framework der Reform zugestimmt. Bis zum nächsten Treffen der G20-Finanzminister im Oktober vergehen aber nur wenige, zudem aufgrund der Bundestagswahl aus deutscher Sicht entscheidende Wochen. Für Unternehmen ist es wichtig, diese Entwicklungen zu verfolgen und die potenziellen Auswirkungen der vorgeschlagenen internationalen Steueränderungen auf ihr Geschäft zu beurteilen. Fest steht, dass Länder mit niedrigen Steuersätzen durch die Reform an Attraktivität verlieren werden. Die Rezeption der geplanten EU-CO2-Grenzausgleichsabgabe (CBAM) als Zwilling der jetzt ruhenden Digitalsteuerprojekte könnte ein Déjà-vu für den Steuerbereich sein: Die Maßnahmen werden kommen – entweder einseitig durch die EU oder einvernehmlich auf multilateraler Ebene.