Es bedarf eines klaren Leitmotivs, auf das Mitarbeiter hinarbeiten können.
Target Operating Model
Hilfe findet die Steuerabteilung in der Strategieberatung. Wie jede Unternehmensfunktion arbeitet auch die Steuerabteilung in einem Operating Model – selbst wenn sich dessen nur wenige bewusst sind oder sich die Mühe gemacht haben, dieses Modell zu definieren. Zur Entwicklung des eigenen Leitbildes empfiehlt sich eine konkrete Auseinandersetzung mit den einzelnen Dimensionen des Target Operating Model. IT-Infrastruktur und -Architektur sind zwar ein wesentlicher Bestandteil, aber nur einer. Es geht auch um Personal und Personalentwicklung, um Prozessplanung und -gestaltung, Organisation und Governance sowie schließlich um Leistungsmessung und Management.
Personal und Personalentwicklung
Das Aufgabenprofil ist traditionell geprägt von steuerlichem Fachwissen. Gut war, wenn auch noch MS-Office-Kenntnisse vorhanden waren. Eine Spezialisierung auf einzelne Steuerarten oder Verrechnungspreise galt bislang als Eintrittskarte für jeden Bewerber. Heute verändern die Digitalisierung und die Automatisierung von Prozessen das Anforderungsprofil rasant. Der Fokus richtet sich von der Ausführung einer Aufgabe hin zu ihrer Überwachung und der Fähigkeit, das Arbeitsergebnis zu interpretieren bzw. mit anderen Datenquellen zu plausibilisieren. Früher waren fachliche Kenntnisse zur umsatzsteuerlichen Rechnungseingangsprüfung unerlässlich, heute braucht die Steuerabteilung jemanden, der diese Kenntnisse hat und sie in einen standardisierten (und automatisierten) Prozess übersetzen kann.
Derzeit ist es schwierig, adäquate Bewerber mit technischem Know-how und einem tiefgreifenden Verständnis von Prozessen zu finden. Damit stellt sich für die Steuerabteilung unweigerlich die Frage, ob und wie die bestehende Mitarbeiterschaft weitergebildet und ob Funktionen ausgelagert werden müssen. Ein erfahrungsgemäß erfolgreicher Mittelweg ist der Einsatz von Innovations-Spots zur Schaffung eines digitalen Bewusstseins und einer Innovationskultur. Mitarbeiter mit innovativem Mindset und technischen Skills werden gezielt als Spots in der Steuerabteilung platziert, um ihre Kollegen quasi anzustecken. Der Erfolg hängt dabei maßgeblich von den individuellen Vorbildfunktionen und der Schaffung einer langfristigen Mitarbeitermotivation ab.
Prozessplanung und -gestaltung
Laut „EY Tax Innovation Survey“ setzen die meisten Teilnehmer große Erwartungen in eine Prozessautomatisierung, um Kosten zu senken bzw. Mitarbeiterkapazitäten zu heben.
Automatisierung ist gut, aber man muss zuerst die Prozesse verstehen und analysieren, um sie optimieren zu können („Process Mining“). Auch gut etablierte Prozesse gehören auf den Prüfstand und müssen im Rahmen des Tax Target Operating Model optimiert und in eine ganzheitliche, integrierte Lösung überführt werden. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail und einzelne Befindlichkeiten bei involvierten Personen und Abteilungen sind nicht zu vernachlässigen.
Angelehnt an die klassische IT-Entwicklung lassen sich Prozessplanung und -gestaltung in der Steuerabteilung auch wie ein großes IT-Projekt durchführen: den Prozess outsourcen, durch einen Serviceprovider standardisieren, optimieren und stabilisieren lassen und dann zurückholen.
Ausgangspunkt für das neue Prozessdesign kann auch ein Tax-CMS-Projekt sein. In der praktischen Umsetzung stellt sich allerdings die Frage nach der Operationalisierung des steuerlichen Kontrollsystems. Wichtig ist es, den Nutzer in den Vordergrund zu stellen und sich nicht mit zusätzlichen Dokumentationspflichten auszubremsen. Dabei helfen auch moderne Methoden wie Design Thinking.
IT-Infrastruktur und -Architektur
Das Target Operating Model wird mehr denn je von technischen Lösungen beeinflusst. Aufgrund der Vielschichtigkeit der steuerlichen Themen bietet sich eine modulare IT-Architektur an. Wichtig ist die Ausrichtung am Kerngeschäft des Unternehmens. Nahezu jeder Geschäftsvorgang wird in Unternehmen mittlerweile irgendwie digital erfasst. Die Buchhaltung pflegt zwar jede Transaktion ein, doch mangelt es der Steuerabteilung oft an operativem Durchgriff ins Accounting. Wichtig sind also interne Datentransparenz, Echtzeitzugriff und regelbasierte Kontrollen, die z. B. mit Machine Learning weiterentwickelt werden.
Der Echtzeit-Datenzugriff muss ganz oben auf der Agenda stehen.
Der Echtzeit-Datenzugriff und steuerliches Datenmanagement müssen für die Steuerabteilung ganz oben auf der Agenda stehen, weil auch Finanzverwaltungen ihre IT-Infrastruktur auf Echtzeitzugriffe ausrichten (z. B. Italien, Mexiko oder Brasilien).
Organisation und Governance
Eine hohe Geschwindigkeit im Kerngeschäft, Ad-hoc-Anfragen und die Erwartung kurzer Reaktionszeiten treffen noch auf analoge, von Hierarchie durchwachsene und in thematische Bereiche gegliederte Steuerabteilungen. Hinzu kommen oft ein ausgeprägtes Silodenken und an Bereichsgrenzen orientierte Arbeitsweisen. Notwendig sind stattdessen funktionsübergreifende Teams, hohe Effizienz und eine entsprechende Anpassungsgeschwindigkeit.
Um gleichzeitig Raum für Innovation zu schaffen, finden derzeit flache Hierarchien mit bereichsübergreifenden Teams und agilen Arbeitsweisen Einzug in die Steuerabteilungen. Es ist wesentlich, an den Ursprung dessen zu gelangen, warum traditionell geprägte Abteilungen mit der Transformation noch Probleme haben. In der alten Welt gibt es viele Betroffene, aber nur wenige Beteiligte. Das muss sich ändern. Jede Transformation ist eine Transformation der Mitarbeiter.
Leistungsmessung und Management
Woran wird eine moderne Steuerabteilung gemessen? Für die Geschäftsführung ist es wichtig, dass die Steuerabteilung ihren Beitrag zur Wertschöpfung leistet. Der Head of Tax ist derweil gut damit beschäftigt, den zahlreichen regulatorischen Anforderungen Rechnung zu tragen und die Compliance sicherzustellen. Umso wichtiger ist es, gemeinsam mit der Geschäftsführung Kennzahlen zur Leistungsmessung zu entwickeln. Oft ist Tax Compliance ein Hygienefaktor und auch die Gesamtsteuerquote kann nur als ein Indikator für den Erfolg der Steuerabteilung dienen.
Immer wichtiger werden KPIs aus der „Kundengruppe“ der Steuerabteilung, d. h. aus dem Kerngeschäft. Von dort werden die an sie selbst gestellten Anforderungen auf die Steuerabteilungen übertragen, z. B. „Same Day Response“ als klare zwar interne, aber wichtige kundenorientierte Maßnahme. Gleichzeitig sinkt die Fehlertoleranz, und das bringt die Steuerabteilung in eine Zwickmühle, weil sie im Wesentlichen auf die Zulieferung einer hohen Datenqualität z. B. aus dem Accounting angewiesen ist.
Neben den klassischen KPIs finden sich deshalb immer öfter Innovationskennzahlen zur Nutzung von Technologien und zur Weiterbildung von Mitarbeitern in der Zielvereinbarung der Steuerabteilung.
Design des Target Operating Model
Neben der konsequenten Ausrichtung der Steuerfunktion auf die Unternehmensstrategie ist bei der digitalen Neuordnung vor allem das Kerngeschäft effizient und nachhaltig zu unterstützen. Mit anderen Worten: Die Steuerabteilung muss sich in einer Matrixorganisation quer vernetzen. Sie muss sich von einem Kontroll- und Reparaturbetrieb zu einem innovativen, funktionalen Cockpit verwandeln.
Die Steuerfunktion muss sich zu einer wertschöpfenden Abteilung für das Kerngeschäft wandeln.
Auf sich allein gestellt kann die Steuerabteilung eine nachhaltige und wertschöpfende Integration im Unternehmen allerdings nicht erreichen. Wenn sich die Steuerabteilung in der Vergangenheit beklagt hat, zu spät in unternehmerische Entscheidungen einbezogen zu werden, muss sie Gleiches auch für das Design des eigenen Target Operating Model gegen sich gelten lassen.
Einzelne und unabgestimmte Insellösungen führen lediglich zu einem bunten Flickenteppich und konterkarieren die Chancen der erfolgreichen Transformation.
Gelegenheiten nutzen
Folglich muss das Target Operating Model der Steuerabteilung in all seinen Dimensionen in der Lage sein, eine Brücke zwischen der Unternehmensstrategie und deren konkreter Umsetzung im Unternehmen zu bauen.
Nur mit Steuerspezialisten wird die Steuerfunktion die Herausforderungen nicht meistern können.
In den aktuellen Debatten kommt die konkrete Umsetzbarkeit mithilfe der technologischen Möglichkeiten zwar in der Regel zu kurz, ist für den Erfolg der Transformation aber von essenzieller Bedeutung.
Bremsblöcke sind zu beseitigen. Dazu gehören historisch gewachsene Legacy-Systeme, die nicht in der Lage sind, der Steuerabteilung die nötigen Schnittstellen zur Verfügung zu stellen und neue Technologien zeitnah zu adaptieren. Hier helfen grundlegende strukturelle Veränderungen der IT-Landschaft wie z. B. eine Digitalisierung des Kerngeschäfts, aber auch die Einführung etwa von S/4HANA. Beides bietet der Steuerabteilung eine einmalige Gelegenheit, die es konsequent zu nutzen gilt.
Neben den offenkundigen Standardisierungs- und Automatisierungsbestrebungen hat die Entwicklung eines konkreten Target Operating Model noch eine übergeordnete Funktion. Es legt für die Steuerabteilung den Grundstein, um den an sie gestellten Ansprüchen gerecht zu werden und die Möglichkeiten der Digitalisierung vollständig auszuschöpfen.
Der Mitspieler rüstet auf
Ein wichtiger Aspekt, den der Head of Tax im Blick haben muss, ist die Veränderung des steuerlichen Umfelds. Überall in der Welt digitalisieren sich die Fisken. Seit Anfang 2019 gilt in Italien z. B. die allgemeine Pflicht zur elektronischen Rechnungsstellung. In Spanien werden die umsatzsteuerrelevanten Daten innerhalb von vier Tagen nach Rechnungsausstellung an die Finanzbehörden gesendet. Mexiko hat schon 2011 die Möglichkeit zur digitalen Rechnungsübermittlung geschaffen; inzwischen ist dort die Übermittlung aller steuer- und transaktionsbezogener Daten Pflicht. In Brasilien werden E-Accounting-Daten in Echtzeit geprüft; für die Steuerabteilung bedeutet dies, dass sie gegenüber den Finanzverwaltungen bereits bei der Beschaffung eine sehr hohe Datenqualität sicherstellen muss.
Auch die OECD ist dabei, die internationale steuerliche Transparenz neu zu definieren und datenbasiert zu kontrollieren. Wie sehr die digitale Überprüfung in die Tiefe geht, zeigt das OECD-Projekt „ADIMA“. Hier nehmen Datenanalysten, Statistiker, Informatiker und Programmierer rund 100 multinationale Unternehmen unter die Lupe, um deren Wertschöpfungsketten samt Gewinnanteilen weltweit nachzuvollziehen.
Steuerliches Fachwissen plus IT
Steuerwissen allein wird also nicht mehr ausreichen, denn nur mit Steuerspezialisten wird die Steuerfunktion diese Herausforderungen nicht meistern können. Es braucht neben dem steuerlichen Fachwissen auch IT-Expertise, um Algorithmen und Schnittstellen richtig einzusetzen. Es ist zwar weiterhin wichtig, Gesetzgebungsverfahren frühzeitig zu identifizieren, Rechtsänderungen zu prüfen und deren Auswirkungen für das eigene Unternehmen zu beurteilen, aber zukünftig wird es elementar sein, direkt in Algorithmen zu denken. Die Steuerfunktion steht also vor der besonderen Aufgabe, Personal mit Steuer- und Digitalexpertise zu rekrutieren, selbst auszubilden oder sich dafür Dritte ins Boot zu holen.
Fazit
Wie herausfordernd die Verantwortlichen die unausweichliche Digitalisierung der Steuerfunktion selbst empfinden, zeigt der jüngste „EY Tax Innovation Survey“. Die Anfang 2021 durchgeführte Umfrage legt offen, dass in den meisten Unternehmen durchweg Methodenkenntnisse fehlen, dass hier nur vereinzelt Innovationen in steuerlichen Deklarationsprozessen stattfinden und dass nur wenige Unternehmen entsprechende Weiterbildungsangebote planen. Umso wichtiger ist es, sich ein verlässliches Bild über die Möglichkeiten zu verschaffen, die künstliche Intelligenz, Big Data und digitale Transformation bieten, um dann zielorientiert, klar und effizient zu handeln.