6 Minuten Lesezeit 28 März 2023
mädchen bedeckt gesicht mit grünem ahornblatt

Warum Nachhaltigkeit beim Versicherungsabschluss entscheidend ist

Autoren
Dr. Natalie Neumann

Senior Manager for Customer Centric Strategies and Transformation, EY Consulting GmbH | Deutschland

Beraterin mit Leidenschaft für die Schaffung einzigartiger und nachhaltiger Kundenerlebnisse; empathisch – ehrgeizig – echt.

Fabian Meier

Director for Customer Centric Strategies and Transformation, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Passioniert für großartige Kundenerlebnisse, realistisch bei der Transformation, optimistisch hinsichtlich der Fähigkeiten von Menschen.

6 Minuten Lesezeit 28 März 2023

Nachhaltige Versicherungen haben gewaltiges Potenzial – eine große Chance für Versicherer.

Überblick
  • Die Nachfrage für nachhaltige Versicherungsprodukte ist groß. Doch das Potenzial wird von der Branche noch nicht ausgeschöpft.
  • Das zeigt eine aktuelle EY-Konsumentenstudie, die in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsunternehmen Appinio erstellt wurde.
  • Dabei werden die glaubhafte Gestaltung und die überzeugende Kommunikation der Nachhaltigkeitsaspekte basierend auf den Kundenpräferenzen zum entscheidenden Erfolgsfaktor.

Während Nachhaltigkeit bereits seit Jahren unser Einkaufsverhalten in vielen Bereichen wie der Mobilität, bei Lebensmitteln oder sogar bei Kleidung prägt, steckt dieser Trend bei Finanzen und Versicherungen noch in den Kinderschuhen. Zwar gewinnt Nachhaltigkeit in der Versicherungsindustrie aufgrund der zunehmenden Regulatorik immer weiter an Bedeutung, doch beim Endkunden kommt davon noch wenig an. So sollen beispielsweise mit der IDD- Änderungsverordnung (IDD = Insurance Distribution Directive), die seit 2. August 2022 in der EU gilt, über die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden in der Versicherungsanlageberatung nachhaltige Investitionen gefördert werden.

Allerdings zeigt ein EY Mystery Shopping, dass zwei Monate nach Umsetzungspflicht ein Großteil der Berater dieser Pflicht bisher nicht nachkommt. Sicherlich ist die Nachhaltigkeitsregulatorik sehr kompliziert und für die Branche nicht ganz leicht umsetzbar. Darüber hinaus wird von den Vermittlern häufig angebracht, dass die kundenseitige Nachfrage (noch) sehr gering sei: Aus Sicht der Industrie verstehen Kunden weder den Zusammenhang zwischen Finanz- und Versicherungsprodukten und (nachhaltigem) Verhalten der Wirtschaft noch sind sie bereit, für nachhaltige Produkte mehr zu bezahlen. Doch stimmt das wirklich? Liegt für die Versicherungsindustrie in der Nachhaltigkeit nicht eher ein immenses Potenzial? Und wie muss sich der Versicherungsvertrieb an die neuen Bedürfnisse anpassen, um davon zu profitieren?

Faktencheck zur Nachfrage für nachhaltige Versicherungsangebote

EY wollte es genauer wissen. Dazu haben wir eine repräsentative Konsumentenstudie mit 2.000 Privatkunden in Deutschland durchgeführt und die Einstellung hinsichtlich Nachhaltigkeit von Versicherungsprodukten unter den Privatkunden beleuchtet. Zur Nachfrage wurden drei wesentliche Erkenntnisse gewonnen:

  • Konkret zu nachhaltigen Versicherungsprodukten gefragt, gaben 24,4 Prozent der Befragten an, bereits ein oder gar mehrere nachhaltige Versicherungspolicen abgeschlossen zu haben.
  • Betrachtet man diejenigen, die in den kommenden zwölf Monaten tatsächlich planen, ein neues Versicherungsprodukt abzuschließen, würden über 90 Prozent ein vergleichbares nachhaltiges Versicherungsprodukt wählen – unabhängig von Geschlecht oder Alter.
  • Das vielleicht Interessanteste daran: 39,1 Prozent aus dieser Gruppe gaben an, dass sie sogar bereit seien, einen Aufschlag für das nachhaltige Produkt zu bezahlen.

Ein Blick auf die Studienergebnisse und Beobachtungen von EY macht klar: Im Versicherungsmarkt steht ein Wandel bevor, getrieben von den Kunden und ihren Nachhaltigkeitsbedürfnissen. Es ist bereits heute eine Nachfrage für nachhaltige Versicherungslösungen vorhanden und auch die entsprechende Zahlungsbereitschaft, mit ausgeprägtem Potenzial für die Anbieter – finanziell, aber auch zur Emotionalisierung der Kundenbeziehung. Dass ein Premiumpreis für Nachhaltigkeit jedoch nicht unbedingt nötig ist, zeigt ein Blick auf den Markt, wo aktuelle Angebote an nachhaltigen Sachversicherungs- und Anlageprodukten bereits zu vergleichbaren Prämien angeboten werden.

Girl covering face with green maple leaf

Studie zu Nachhaltigkeit bei Versicherungen

EY hat im Dezember 2022 eine Studie zur Bedeutung von Nachhaltigkeit bei Versicherungen aus Konsumentensicht in Deutschland durchgeführt.

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Die Nachfrage für nachhaltige Versicherungsprodukte ist groß – wird jedoch bislang nicht ausgeschöpft

Die Ergebnisse belegen deutlich, dass nicht nur das Interesse für nachhaltige Versicherungsprodukte, sondern auch die Absicht, diese Produkte tatsächlich zu beziehen, weit höher ausgeprägt ist, als gemeinhin angenommen wird. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, ist der Vertrieb gefragt. Aber genau an dieser Stelle hakt es offensichtlich. So gaben über 80 Prozent der Befragten an, bisher noch nicht auf das Thema Nachhaltigkeit angesprochen worden zu sein – weder im persönlichen Gespräch noch durch Werbung oder im Rahmen einer Angebotsunterbreitung. Zur Gewinnung von Kunden für nachhaltige Angebote bedarf es jedoch einer gezielten, kompetenten Beratung und Aufklärung. Motivierte und geschulte Vermittler sind dabei der zentrale Hebel, um Handlungswillige zu überzeugen. Dabei kommt es auch auf die Glaubwürdigkeit an: Wird der Produktgeber allgemein als nachhaltig wahrgenommen, lassen sich entsprechende Produkte authentischer vertreiben. Auch hier ist noch Reputationsarbeit zu leisten. Denn knapp die Hälfte der Befragten empfindet keine der ihnen bekannten Versicherungen als besonders nachhaltig.

Wenn sich 90 Prozent der potenziellen Kunden für ein nachhaltiges Versicherungsprodukt interessieren, aber nur 18 Prozent dazu angesprochen werden, wird die Lücke zwischen Bedarf und aktivem Angebot klar.
Fabian Meier
Director for Customer Centric Strategies and Transformation, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Es gibt also einen attraktiven Markt für nachhaltige Versicherungsprodukte, der aber bislang noch nicht vom Versicherungsvertrieb abgeschöpft wird. Allerdings gibt es deutliche Unterschiede in der Empfänglichkeit der Kunden bezüglich des Angebots nachhaltiger Versicherungsprodukte, ihrer Preissensitivität und des Aufwands der Ansprache. Aus den Daten konnte EY vier verschiedene Kundentypen identifizieren, bei denen es hinsichtlich der Ansprache und der Erfolgswahrscheinlichkeit durch den Versicherungsvertrieb offensichtliche Unterschiede gibt:

  1. Für die Enthusiasten ist Nachhaltigkeit das wichtigste Entscheidungskriterium beim Abschluss einer Versicherung und sie sind bereit, mehr für ein nachhaltiges Versicherungsprodukt zu bezahlen.
  2. Die Interessierten betrachten Nachhaltigkeit bei vielen Kaufentscheidungen als wichtiges Kriterium, auch bei Versicherungen – allerdings sind sie preissensitiver.
  3.  Die Zweifler sind im Verhältnis etwas älter und scheuen den Aufwand eines Wechsels zu einem nachhaltigen Produkt. Denn Nachhaltigkeit hat für sie (noch) keinen hohen Stellenwert bei Kaufentscheidungen.
  4.  Die Unbelehrbaren haben ein sehr geringes Interesse an Nachhaltigkeitsthemen und verbinden damit in erster Linie höhere Kosten und wenig Mehrwert.

Doch wie können diese Marktchancen aktiv im Versicherungsvertrieb realisiert werden? Was wollen und brauchen die Kunden trotz dieser Unterschiede, um zum Abschluss einer nachhaltigen Versicherung geleitet zu werden?

Worauf es Versicherungskunden beim Thema Nachhaltigkeit wirklich ankommt

Kunden mit einem Interesse an nachhaltigen Versicherungsprodukten fühlen sich derzeit recht verloren. Denn rund die Hälfte der Befragten empfindet keine der ihnen bekannten Versicherungen als besonders nachhaltig – sie wissen also gar nicht, an wen sie sich mit ihrem Wunsch nach nachhaltigen Versicherungsprodukten wenden können. Dies erklärt potenziell auch, warum 55,7 Prozent für ihr nachhaltiges Versicherungsprodukt zu einer neuen Versicherung wechseln würden. Denn viele Akteure in der Versicherungswirtschaft zögern noch, sich klar als nachhaltig zu positionieren und ihr Marketing daran auszurichten. Ohne eine emotionalisierende und positionierende Ansprache rücken Versicherungen jedoch nicht in das Bewusstsein der nachhaltigkeitsinteressierten Kundschaft.

Die Gründe, weshalb bisher noch kein nachhaltiges Versicherungsprodukt gekauft wurde, geben Aufschluss über zentrale Stellhebel, die der Vertrieb nutzen sollte. Abgesehen von denen, die nicht explizit nach einer nachhaltigen Versicherung gesucht haben, bemängelt ein Großteil (37,0 Prozent) der Befragten vor allem die fehlende aktive Ansprache, Informationen und Aufklärung oder nennt Zweifel an der Glaubhaftigkeit (23,0 Prozent). Eine gezielte, kompetente Beratung, in der Nachhaltigkeit proaktiv angesprochen wird und die umfassend zu Nachhaltigkeitsaspekten informiert und den Mehrwert transparent darstellt, ist also der Schlüssel zum Erfolg beim Vertrieb nachhaltiger Produkte. Darüber hinaus kann eine explizite Zertifizierung der Berater in Nachhaltigkeitsthemen (zum Beispiel über ein offizielles Siegel) nicht nur marketingtechnisch zur Generierung von Aufmerksamkeit genutzt werden, sondern erhöht auch die Glaubwürdigkeit gegenüber dem Kunden. 78 Prozent der Befragten halten eine solche Zertifizierung für durchaus wünschenswert. Wichtig ist aber nicht nur eine Steigerung der Kompetenz der Berater, sondern auch, dass Kundenerlebnisse an unterschiedlichen Kontaktpunkten in der Customer Journey geschaffen werden. So gaben 87,7 Prozent der befragten Kunden an, dass sie mit Anreizen (zum Beispiel Punktesysteme für ein nachhaltiges Versicherungsportfolio) für ihre Entscheidung zu einer nachhaltigen Versicherungspolice belohnt werden möchten, wodurch das Erlebnis „Nachhaltigkeit“ auch in der Loyalitätsphase stärker erlebbar wird.

Denn Nachhaltigkeit ist mehr als eine regulatorische Pflicht. Das Thema Nachhaltigkeit bietet ein riesiges Vertriebspotenzial und wie nie zuvor die Chance, eine Emotionalisierung zwischen Kunde, Vermittler und Versicherer herbeizuführen. Hierzu müssen Versicherer und Versicherungsvermittler enger zusammenarbeiten, um das Thema Nachhaltigkeit erfolgreich im Vertrieb zu implementieren – angefangen bei der passenden vertrieblichen Nachhaltigkeitsstrategie über fachlich versierte und zertifizierte Kompetenzcenter bis hin zu kontinuierlicher Motivation und Qualifikation des Vertriebs und natürlich einem passenden Produktangebot. Bei der Produktgestaltung sollte mit mehr Kreativität an die Sache herangegangen werden und Greenwashing ist tunlichst zu vermeiden.

Fazit

Bei Versicherungen sind die glaubhafte und transparente Gestaltung sowie die überzeugende Kommunikation der Nachhaltigkeitsaspekte basierend auf den Kundenpräferenzen wichtig. Bei der Preisgestaltung ist sensibel vorzugehen, denn einen Mehrpreis sind derzeit nur wenige Kunden bereit zu zahlen. Belohnungssysteme eignen sich auf alle Fälle gut für die Kundenloyalisierung und mit der richtigen Bestandskundenansprache kann die hohe Wechselbereitschaft vertrieblich voll ausgeschöpft werden. Versicherer spielen aus Sicht von EY eine relevante Rolle, um das Thema Nachhaltigkeit gesellschaftlich zu verankern. Denn Versicherungen sind per se nachhaltig geprägt und genießen hohes Vertrauen. Genügend Potenzial ist laut EY-Studienergebnissen vorhanden. Also, liebe Versicherungswirtschaft: Bereit, das Momentum zu nutzen?

Über diesen Artikel

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Dr. Natalie Neumann

Senior Manager for Customer Centric Strategies and Transformation, EY Consulting GmbH | Deutschland

Beraterin mit Leidenschaft für die Schaffung einzigartiger und nachhaltiger Kundenerlebnisse; empathisch – ehrgeizig – echt.

Fabian Meier

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Passioniert für großartige Kundenerlebnisse, realistisch bei der Transformation, optimistisch hinsichtlich der Fähigkeiten von Menschen.