5 Minuten Lesezeit 6 Mai 2021
Krankenwagen auf der A81

Wie 5G-Technologie die Notfallmedizin revolutionieren kann

Von Christian Egle

Leiter Gesundheitswirtschaft Region Europa, Mittlerer Osten, Indien und Afrika, EY Strategy & Transactions GmbH

Findet Lösungen für die Transformation einer ganzen Branche. Zwei Kinder und ausgiebige Joggingrouten durch den Spessart halten ihn gesund.

5 Minuten Lesezeit 6 Mai 2021

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Zuverlässiger Datenaustausch in Echtzeit: 5G kann nicht nur die Industrie 4.0 vorantreiben, sondern in Zukunft auch Leben retten.

Überblick
  • Die Digitalisierung und der Mobilfunkstandard 5G können das Gesundheitswesen deutlich verbessern, zum Beispiel durch Ferndiagnosen in der Notfallmedizin.
  • Noch klaffen Vision und Realität auseinander: Im ländlichen Raum reicht die Netzabdeckung oft nicht mal für Mobilfunkanrufe oder simple digitale Anwendungen.
  • Potenziale für Innovationen im Gesundheitswesen liegen nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Digitalisierung – praktikable Pilotprojekte sind gefragt.

Mitternacht – Blaulicht erhellt die Dunkelheit, besorgte Rufe hallen durch die Nacht, Sanitäter legen einen Patienten auf eine Trage und bringen ihn zum Krankenwagen. Ein tragbares Ultraschallgerät, so groß wie ein Smartphone, wird von den Notfallsanitätern – den eParamedics (ePacs) – eingeschaltet. Ärztliche Spezialisten verfolgen aus dem Kontrollzentrum das gestochen scharfe, farbige Live-Video auf einem großen Bildschirm und überwachen das eingehende Ultraschallbild, während die Sanitäter den Bauch-Ultraschall durchführen. Zur Identifikation des Patienten und seiner Krankengeschichte nutzen die ePacs einen Scanner mit Gesichtserkennungstechnologie. Innerhalb von Sekunden erhalten sie Zugang zur digitalen Akte und zum Notfalldatensatz. Die Vitaldaten des Patienten werden in Echtzeit an das Krankenhaus übertragen – das hochauflösende EKG, Blutdruck, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung des Blutes und Körpertemperatur werden via 5G gesendet und auf dem Bildschirm der Kommandozentrale angezeigt. Parallel erfolgt die Videoüberwachung des Patienten über die Datenbrille des ePac. Die Bauchblutung indiziert eine dringliche Operation. Das Notfallteam im Krankenhaus plant alle Schritte für die sofortige Versorgung. Das OP-Team steht bereit. Die bereits entnommene Mikro-Blutprobe des Patienten wurde mit einer Notfalldrohne ins Krankenhaus gebracht, wodurch die analysierten Werte schon vor Eintreffen des Patienten vorliegen.

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Nahezu unbegrenzte Möglichkeiten für die Digitalisierung der Notfallmedizin – theoretisch

Was heute noch wie Science-Fiction klingt, kann in der medizinischen Notfallversorgung die neue Realität werden. Überall dringen neue Technologien in unser Leben, verändern es nachhaltig. Der Mobilfunkstandard 5G als revolutionäre Technologieentwicklung birgt viele Vorteile und eröffnet nahezu unbegrenzte Möglichkeiten für die rettungsdienstliche Gesundheitsversorgung.

In China beispielsweise werden erste 5G-fähige medizinische Notfall-Fernwartungssysteme in Betrieb genommen. Durch die Nutzung von 5G-Hochgeschwindigkeitsnetzwerken mit geringer Latenzzeit sind die Systeme in der Lage, mehrere Subsysteme wie 5G-fähigen Ultraschall aus der Ferne, Kommandozentralen für die Notfallversorgung und auf Virtual Reality (VR) basierende Diagnose- und Behandlungs-Subsysteme zu integrieren. Der 5G-Einsatz ermöglicht ein zuverlässiges und aus der Entfernung steuerbares medizinisches Notfallreaktionssystem in Echtzeit.

Der 5G-Einsatz ermöglicht ein zuverlässiges und aus der Entfernung steuerbares medizinisches Notfallreaktionssystem in Echtzeit.

Verglichen mit bisherigen Entwicklungsstufen im Mobilfunk ist 5G eine Revolution. Der neue Standard ist für das Internet of Things (IoT) optimiert und für maschinelle Massendaten ausgelegt. Tausende von Geräten innerhalb einer Funkzelle können dadurch zuverlässig und energieeffizient Daten miteinander austauschen.

Betrug die Latenzzeit – der Zeitraum zwischen Aktion und tatsächlichem Eintreten – mit den bisherigen Telekommunikationstechnologien noch 40 bis 100 Millisekunden, reduziert sich diese durch 5G auf unter 1 Millisekunde. Damit ergibt sich die Grundlage für Übertragung von Live-Videos mit mindestens 1080p und 30FPS und die Übertragung von Fern-Ultraschall ohne Paket- oder Frameverlust. Durch diese technologische Evolution und die damit verbundene Möglichkeit der Übertragung riesiger Datenmengen wird erstmals Echtzeitkommunikation real. Dies revolutioniert die Patientenversorgung und ermöglicht die Notfallbehandlung für jeden, überall in höchster medizinischer Qualität.

Lücken in der Netzabdeckung schließen, um 5G nutzbar zu machen

Doch das liegt leider noch in weiter Ferne. Derzeit schöpfen die Anwender selbst die vorhandenen technologischen Möglichkeiten zur Digitalisierung noch nicht annähernd aus. Dies liegt nicht nur an knappen finanziellen Ressourcen, sondern auch daran, dass es in Deutschland noch immer Orte ohne durchgängige Breitband- und Mobilfunkabdeckung gibt. Insbesondere ländlich geprägte Regionen sind noch nicht ausreichend an ein stabiles Mobilfunknetz angebunden.

Genau jene Regionen sind es aber, die häufig unter Herausforderungen wie einem (drohenden) Fachärztemangel, einer geringen Arztdichte oder langen Anfahrtswegen in Krankenhäuser und weitere Gesundheitseinrichtungen leiden. Auch die Opportunitätskosten für Ärzte sind hoch. Denn da eine wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung nicht sichergestellt wird, fallen zahlreiche Visiten im häuslichen Umfeld an. Daher gilt es, diese Regionen zu stärken und Ressourcen zu schonen, zum Beispiel durch eine Reduktion vermeidbarer Krankenhausaufenthalte oder durch eine Entlastung der Akteure. Diese Regionen profitieren von digitalen Anwendungen und können sich so auch auf die Bedürfnisse der alternden Gesellschaft einstellen.

Es gilt, ländlich geprägte Regionen zu stärken und Ressourcen zu schonen, zum Beispiel durch eine Reduktion vermeidbarer Krankenhausaufenthalte oder durch eine Entlastung der Akteure im Gesundheitssystem. Regionen mit Fachärztemangel, geringer Arzt- und Krankenhausdichte profitieren besonders von digitalen Anwendungen.

Derzeit ist ein Großteil der deutschen Krankenhäuser an das IVENA-Zuweisungssystem angebunden, das eine Zuordnung von Notfallpatienten des Rettungsdienstes an Krankenhäuser ermöglicht und Notaufnahmen entlastet. Darüber hinausgehende Kooperationen und telemedizinische Anwendungen zwischen Rettungsdienst und Gesundheitseinrichtungen gibt es jedoch kaum.

Bekannt sind Projekte, in denen Notfallsanitäter auf telefonische Unterstützung von Fachärzten zurückgreifen können, oder Apps mit pharmazeutischen Informationen für Rettungssanitäter. Diese Angebote werden jedoch unter anderem aufgrund der lückenhaften Breitband- und Mobilfunkanbindung nur selten genutzt. Wenn schon Telefonate und App-Anwendungen an der IT-Infrastruktur scheitern, sind Anwendungen, die 5G als Mobilfunkstandard benötigen, nicht durchsetzbar. Artikel und Produktvorstellungen über die nahezu grenzenlos anmutenden Möglichkeiten der digitalen Anwendungen lesen sich faszinierend – aber umgesetzt wird nur ein geringer Anteil.

Transformation: Das Gesundheitswesen schrittweise für die Zukunft wappnen

Das potenziell Mögliche zu bewerben und anzusteuern ist wichtig, um Innovationen voranzutreiben und unser Gesundheitswesen für die Zukunft zu wappnen. Doch viele Ideen und Projekte neigen dazu, den übernächsten Schritt vorwegzunehmen und das Umsetzbare aus den Augen zu verlieren. So entstehen zahlreiche spannende Konzepte, die letztlich aber genau das bleiben: Konzepte. Augmented-Reality-Brillen für Notfallsanitäter, die live vor Ort Fachärzte hinzuschalten können, sind ohne Frage sinnvoll und mit ausreichender 5G-Mobilfunkversorgung technologisch möglich – aber unter objektiver Betrachtung des Status quo in weiter zeitlicher Ferne. Es ist unwahrscheinlich, dass in den kommenden Jahren Gesichtserkennungstechnologien und Drohnen der Standard in der deutschen Notfallversorgung werden, wenn Laborbefunde immer noch per Fax verschickt werden. Wenn heute immer noch die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung ohne flächendeckendes Mobilfunknetz und mit Funklöchern auskommen muss, ist es wenig zweckdienlich, dort digitale Anwendungen vorzuschlagen, die ohne 5G-Anbindung nicht nutzbar sind. Hier sind innovative, aber auch praktikable Mittel gefragt.

Es ist unwahrscheinlich, dass in den kommenden Jahren Gesichtserkennungstechnologien und Drohnen der Standard in der deutschen Notfallversorgung werden, wenn Laborbefunde immer noch per Fax verschickt werden.

Damit im Zukunftsszenario ein weit entfernter Experte virtuell beispielsweise ein Herz-Echo durchführen kann, ist eine hohe Bandbreite für hochauflösende Echtzeitübertragung von komplexen Inhalten wie Bild und Ton, aber auch eine geringe Latenz von unter 100 Millisekunden für Echtzeit-Datenleitungen über große Distanzen vonnöten. Zuverlässige Fernbeurteilung ohne Zeitverzögerung wird in naher Zukunft zunächst eher räumlich begrenzt und in stationären Einrichtungen mit sogenannten „private slices“ genutzt werden, statt dass direkt mobile Lösungen implementiert werden. Baut man sukzessive die IT-Infrastruktur aus und errichtet eine ausreichende Anzahl 5G-Mobilfunkmasten, können auch Echtzeit-Videoübertragungen möglich werden – aber nur dann. Beispielsweise könnten sich in den kommenden Jahren vermehrt kleinere, aber klar definierte „Testumgebungen“ mit idealen organisationalen und technischen Bedingungen entwickeln. Darin könnten dann die entsprechenden 5G-Anwendungen pilotiert werden und man könnte sich den dargestellten, teilweise futuristischen Anwendungsfällen annähern.

Fazit

Das Gesundheitswesen befindet sich am Anfang eines kontinuierlichen Lern- und Entwicklungsprozesses: 5G ist mehr als eine weitere technologische Entwicklung und kann zu einer signifikanten Verbesserung in unserer Lebensweise führen und in der Notfallversorgung Leben retten. Allerdings mutet vieles noch wie Science-Fiction an, wenn man bedenkt, dass die Digitalisierung im Gesundheitssektor gerade erst in Schwung kommt. Noch scheitern zum Beispiel im ländlichen Raum viele digitale Anwendungen an der lückenhaften Breitband- und Mobilfunkanbindung. Bis Telemedizin auf 5G-Basis also marktreif ist, braucht es Pilotprojekte in „Testumgebungen“ mit idealen Bedingungen.

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Von Christian Egle

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