3 Minuten Lesezeit 15 Juni 2020
Frau schaut auf ihre Smart Watch

Digital Health: Wie Europa zur Weltspitze aufschließen kann

Von EY Deutschland

Building a better working world

3 Minuten Lesezeit 15 Juni 2020

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Die Corona-Krise beschleunigt Innovation massiv. Selbsterfasste Patientendaten bieten dabei auch abseits von Tracing enormes Potenzial.

So schnell geht Veränderung: Zwei Drittel der Deutschen wünschten sich in einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom im März 2020 Online-Sprechstunden ihrer Ärzte, um Ansteckungsgefahren in der Praxis zu reduzieren. Ein Jahr zuvor konnten sich noch nur 30 Prozent vorstellen, eine Online-Sprechstunde wahrzunehmen. Die Corona-Pandemie wird für eine „neue Normalität“ sorgen – sie verändert die Wünsche auf Patientenseite, sie beschleunigt regulatorische Prozesse und sie stellt einen mutigen Schritt dar, hin zu mehr Innovation im gesamten Gesundheitssystem. Die Corona-Krise zeigt auch, wie schnell Veränderungen im E-Health-Sektor möglich wären – und dass die Akzeptanz bei den Patienten durchaus vorhanden ist.

Ohnehin hat uns noch kein Ereignis zuvor so deutlich die Unterschiede von Gesundheitssystemen weltweit vor Augen geführt. Wir erleben gerade tagesaktuell, welche Stärken und Schwächen die Systeme in anderen Ländern haben und erfahren, was in Deutschland, Österreich und der Schweiz gut funktioniert.

COVID-19 wird die Schlagzeilen noch einige Zeit beherrschen. Doch unabhängig von dieser Pandemie wird es Diskussionen darüber geben müssen, welche Veränderungen nötig sind, um unsere Gesundheitssysteme zukunftssicher zu gestalten – weg von reiner Krankenversorgung, hin zu integraler Gesundheit. Ein zunehmend wichtiger und weltweit sehr unterschiedlich ausgeprägter Aspekt dieser Debatte ist der Themenkomplex E-Health. Er steht für sehr viel mehr als nur virtuelle Sprechstunden und umfasst laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) „den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien für die Gesundheit“.

Disruption durch Digitalisierung

Besonders in den USA lässt sich beobachten, wie neue Marktteilnehmer für Disruption sorgen und das System massiv verändern. Wir erleben zum Beispiel, wie junge Anbieter im Digitalen in unterversorgten Regionen Lücken im Gesundheitsangebot schließen können oder wie Telemedizin erfolgreich die Kosten für Patienten und Versorger senken kann. Apps und Wearables erfassen große Datenmengen und helfen, die Versorgung so individuell wie möglich zu gestalten. Patienten werden so zum Eigentümer ihrer Daten, Ärzte zum Ratgeber souveräner Patienten – und eine personalisierte Medizin wird überhaupt erst möglich.

Obwohl die Diskussion über mögliche Corona-Tracing-Apps vielleicht ein Umdenken auslöst, so sind die Rahmenbedingungen in Europa deutlich anders: Die relevanten Behandlungsdaten laufen bei den Krankenkassen zusammen. Alles, was Patienten an digitalen Daten selbst erfassen, findet nur schwer seinen Weg ins System, in Vorsorge oder in Therapien. Eine Ursache für diese Trennung ist die vorsichtige Grundhaltung zum Thema Big Data, bei dem viele eher an die möglichen Gefahren als an eventuelle Chancen denken.

Alles, was Patienten an digitalen Daten selbst erfassen, findet in Europa nur schwer seinen Weg ins System. Beim Thema Big Data denken viele eher an die möglichen Gefahren als an eventuelle Chancen.

In der Folge fließt bei den allermeisten Krankheiten viel Geld in die Versorgung und zu wenig in die Prognose von Krankheitsverläufen, obwohl diese eigentlich besser in der Lage wäre, langfristig die Kosten im gesamten System zu senken. Wir erleben einen streng regulierten und unflexiblen Versorgungssektor. Parallel dazu entwickelt sich – außerhalb des Gesundheitssystems – ein von Start-ups geprägter Prognosesektor. Darin suchen sich Patienten ihre Informationen selbst zusammen, obwohl es gesellschaftlich an nötiger Gesundheitskompetenz in Bezug auf Datenqualität und Evidenz fehlt. Es ist dringend nötig, dass Menschen die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters besser nutzen dürfen, um eigene Gesundheitskompetenz zu entwickeln –COVID-19 kann dabei zu einem Innovationstreiber werden.

Damit bei allen Teilnehmern des Systems das Verständnis von Qualität im Gesundheitsbereich wächst, braucht es klare Richtlinien – und einen Kodex, der diese deutlich vermittelt. Versorgung muss patienten- oder menschenzentrierter werden, doch häufig stehen die Gesetze im Versorgungssektor der DACH-Region dem im Weg. Innovation ist vor allem außerhalb des Gesundheitssystems möglich, dort bringt der persönliche Antrieb der Einzelnen Digital Health wirklich voran.

Krankenkassen als Player statt Payer

Für Fortschritte im Bereich Digital Health auch über die akute Corona-Krise hinaus braucht es weniger Insellösungen. Den Marktteilnehmern muss es stärker erlaubt sein, verschiedene Rollen einzunehmen. Ein besonders wichtiges Beispiel ist dabei die Position der Krankenkassen. Ihnen sollte es erlaubt sein, dass System proaktiv mitzugestalten und mutig in Sachen Digitalisierung voranzugehen – also vom reinen Payer zum echten Player zu werden. Damit könnten sie nicht nur ihre eigene Effizienz steigern, sondern auch flexible Gründer-Einheiten besser ins System einbinden. Die Big-Data-Expertise der Start-ups erlaubt neue Ansätze und es ist an der Zeit, diese zu nutzen. Es muss gelingen, die aktuelle Silostruktur weiterzuentwickeln, hin zu mehr Netzwerken und Plattformlösungen.

Diejenigen Unternehmen, die auch morgen noch erfolgreich sein wollen, beschäftigen sich schon heute mit diesen Veränderungen. 

Diese Entwicklung startet gerade. Doch diejenigen Unternehmen, die auch morgen noch erfolgreich sein wollen, beschäftigen sich schon heute mit diesen Veränderungen – beispielsweise auch, wenn es darum geht, wie Künstliche Intelligenz (KI) den Sektor verändert.

Wir sehen schon heute, wie in Zukunft ein selbstbestimmter Mensch mehr und mehr seine eigene Gesundheit gestalten wird, während er gleichzeitig von den Möglichkeiten innovativer Medizin profitiert. Wenn Digital Health auf verlässlichen Daten und daraus abgeleiteten individuellen Entscheidungen basiert, kann das dafür sorgen, diese Veränderungen überhaupt erst zu ermöglichen – um damit letztlich eine bessere und patientenzentrierte Medizin bestmöglich zu unterstützen.

Fazit

Die Corona-Krise zeigt, wie international neue Marktteilnehmer die Disruption im Gesundheitssektor stark vorantreiben. So werden zum Beispiel klinische Studien deutlich schneller angestoßen und Zulassungsverfahren beschleunigt. In der DACH-Region müssen Versorger, Pharmaunternehmen und Kunden wegen strenger Regularien aber anders agieren als in anderen Ländern. Gleichzeitig müssen sie künftig stark umdenken, damit die Gesundheitsversorgung hier weiter zur Weltspitze gehört. Krankenkassen müssen zu Playern und Insellösungen überwunden werden, um Digital Health als relevanten Sektor voranzutreiben.