Kapitel 1
Überbrückung der Kluft zwischen Absichten und tatsächlicher Verhaltensweisen
Corporate Messaging reicht nicht aus, um eine Kultur der Integrität zu schaffen.
Der EY Global Integrity Report 2022 zeigt, dass die Pandemie es Unternehmen leider global erschwert hat, integer zu handeln. Während Compliance-Management-Systeme zwar inzwischen weit verbreitet sind, scheint das Management auch toleranter und resistenter gegenüber unethischem Verhalten geworden zu sein, insbesondere auf Top Management Ebene. Denn die Befragung zeigt, dass eine steigende Zahl der Befragten bereit ist, unethisches Verhalten von Lieferanten, Händlern oder anderen Dritten zu ignorieren und u.a. Bilanzkennzahlen zu manipulieren.
Ebenso zeigt die diesjährige Umfrage, dass Compliance- und Integrity-Standards seit dem Ausbruch der Pandemie deutlich an Wichtigkeit für Führungskräfte verloren haben: Mehr als vier von zehn (42 Prozent) Führungskräften stimmen zu, dass unethisches Verhalten vom Management in ihrem Unternehmen toleriert wird (gegenüber 34 Prozent im Jahr 2020), und 34 Prozent der Führungskräfte bestätigen, dass es leicht sei, die Richtlinien und Regeln in ihrem Unternehmen zu umgehen; im Jahr 2020 waren es noch 25 Prozent.
Darüber hinaus zeigt der EY Global Integrity Report 2022, dass das Bewusstsein für Compliance- und Integritätsrisiken, insbesondere bei der Zusammenarbeit mit Lieferanten und Dritten, gestiegen ist. Im Vergleich zu vor zwei Jahren ist das Bewusstsein für Cyberrisiken von 20 Prozent auf 27 Prozent gestiegen, für falsche Angaben in der Rechnungslegung von 17 Prozent auf 25 Prozent und für versteckte Geschäftsbeziehungen mit hohem Risiko von 17 Prozent auf 24 Prozent.
Kapitel 2
Formen einer wirksamen Integritätskultur
Mitarbeiter müssen sich ermutigt fühlen auf nicht integres Verhalten aufmerksam zu machen ohne Repressalien zur befürchten.
Nicht nur die EU-Direktive zum Thema Whistleblowing unterstreicht die signifikante Rolle von Hinweisgebern für Unternehmen. Hierbei geht es nicht nur um elektronische Kanäle und Email-Adressen: Es geht um ein sicheres Umfeld, in dem sich Mitarbeitende öffnen können und auf Missstände und Compliance-Verstöße in einem vertrauensvollen Umfeld hinweisen können. Es geht um Prozesse, die sicherstellen, dass Fehlverhalten unabhängig und mit ausreichender Tiefe untersucht wird und Maßnahmen ergriffen werden, die die Integritätskultur im Gesamtunternehmen unterstreichen. In diesem Kontext zeigt unsere diesjährige Umfrage, was passieren kann, wenn Organisationen Integrität und Compliance einfach nur als „Tick in the Box“ verstehen - denn insbesondere so kommt es schnell zu einer Diskrepanz zwischen den Vorstellungen der Führungskräfte und ihrer Mitarbeitenden.
Es ist schwer vorstellbar, wie Mitarbeitende in einer Organisation, deren Führungskräfte andere Ansichten vertreten, zu ethischem Handeln motiviert werden sollen, insbesondere, wenn durch falsche Anreizsysteme die Versuchung besteht, die Regeln zu brechen. Optimale Bedingungen für Integrität werden durch ein unternehmensweites Umfeld geschaffen, in dem die Werte auf allen Ebenen und in allen Funktionen geteilt werden und in dem ein hohes Maß an Transparenz und Nulltoleranz bei Non-Compliance herrscht.
Das Ausmaß, in dem Unternehmen Hinweisgebern in ihren Organisationen Schutz bieten, ist ein wesentlicher Maßstab für die Compliance- und Integritätskultur. Mitarbeitende auf allen Ebenen müssen darauf vertrauen können, dass sie ohne Angst vor Repressalien Meldung machen können und dass Verstöße unabhängig investigiert werden. Allzu oft haben die Mitarbeitende das Gefühl, dass eine Meldung keine Veränderungen auslösen wird: Laut den Umfrageteilnehmern ist der Hauptgrund (38 Prozent) für die Nichtmeldung die Sorge, dass keine Maßnahmen ergriffen werden (gegenüber 33 Prozent im Jahr 2020).
„Für das Vertrauen zwischen Management und Mitarbeitern ist es von grundlegender Bedeutung, dass Whistleblower geschützt werden“, sagt Andreas Pyrcek. „Es ist ein gegenseitiger Schutz: Wir verlangen von unseren Mitarbeitern, dass sie das Unternehmen schützen, und im Gegenzug müssen wir sie vor negativen Konsequenzen bewahren.“ Es ist aber auch positiv zu sehen, dass sich die Schutzmaßnahmen in den letzten drei Jahren deutlich verbessert haben.
Kapitel 3
Impulse für nachhaltiges Compliance- und Integrity-Management
Technologien können eine wesentliche Rolle in der Compliance-Strategie eines Unternehmens spielen.
Gute Unternehmensführung, die Signifikanz von Compliance und Transparenz sind eine wesentliche Voraussetzung für das Vertrauen in Unternehmen die Politik, die Kapitalmärkte und die Gesellschaft.
Unterstrichen wird die Wichtigkeit von Compliance und Integrität nicht nur durch die klassischen Themen wie Anti-Korruption, Kartellrecht oder Datenschutz: Menschenrechte, ESG und Nachhaltigkeit setzen Führungskräfte immer mehr unter Druck nicht nur Bekenntnisse zur ethischen Unternehmensführung auszusprechen, sondern auch wirksame Systeme und Kulturen zu formen, die die Nachhaltigkeit ernsthaft unterstreichen.
Führungskräfte können die aktuelle Dynamik nutzen, um Veränderungen rund um Nachhaltigkeit und die Integritätsagenda voranzutreiben. Dabei können neue Technologien und die Nutzung von Daten eine ganz neue Rolle einnehmen: Denn Daten können das menschliche Verhalten abbilden und schneller transparent machen. Daten zeigen, wo neue Risiken wachsen oder Prozesse durch Anforderungen verkompliziert werden. Daten zeigen auch, wo Mitarbeiter Unsicherheiten haben. Und so lässt sich auf Basis von Daten auch ableiten, wie Compliance- und Integritätssysteme effektiver, effizienter und nachhaltiger werden.Führungskräfte können die aktuelle Dynamik nutzen, um Veränderungen rund um Nachhaltigkeit und die Integritätsagenda voranzutreiben. Dabei können neue Technologien und die Nutzung von Daten eine ganz neue Rolle einnehmen: Denn Daten können das menschliche Verhalten abbilden und schneller transparent machen. Daten zeigen, wo neue Risiken wachsen oder Prozesse durch Anforderungen verkompliziert werden. Daten zeigen auch, wo Mitarbeiter Unsicherheiten haben. Und so lässt sich auf Basis von Daten auch ableiten, wie Compliance- und Integritätssysteme effektiver, effizienter und nachhaltiger werden.
„Technologie ist der große Wurf, um die Compliance- und Integrity-Management-Systeme voranzutreiben“, sagt Corey Dunbar, Principal, Forensic & Integrity Services, Ernst & Young LLP USA. „Von anonymen Hotlines, Unternehmenstransaktionen bis hin zur Durchsetzung durch aufsichtsbehördliche Aufklärungen wird es immer weniger Sachverhalte geben, an denen man potenzielles Fehlverhalten in Daten verschleiern oder verstecken kann.“ Durch die Konzentration auf technologie- und datenzentrierte Methoden zur Messung der Integritätskultur und den Aufbau neuer und effektiver Kontrollen, Prozesse und Einblicke können Unternehmen ihre Compliance-Management-Systeme so umgestalten, dass sie langfristigen einen Wertbeitrag liefern und nicht nur zum Administrationsaufwand werden.
Fünf Maßnahmen zur Verbesserung Ihrer Compliance- und Integritätsagenda:
1. Lernen Sie Ihr Unternehmen besser kennen
Die Bewertung von Fraud- und Compliance-Risiken ist das Herzstück des Schutzes Ihres Unternehmens. Eine solche Risikoanalyse bedarf die Aufmerksamkeit des Top-Managements und muss durch die Organisation ernst genommen werden, idealerweise datengestützt sein und regelmäßig und methodisch durchgeführt werden, um Risiken und Kontrollschwächen besser zu identifizieren.
2. Nehmen Sie bei der Umsetzung des Compliance- und Integrity-Management-System den Kern in den Fokus: den Menschen
Fehlverhalten wird nicht durch Systeme und Prozesse gesteuert – sondern durch das Verständnis, die Akzeptanz und die Kultur im Unternehmen. Der beste Compliance-Rahmen kann ausgehebelt werden, wenn die Compliance-Kultur nicht unterstützt „das Richtige zu tun“. Deswegen ist der Fokus der Integritätskultur auf die Mitarbeitende zu legen und ein Verständnis hierfür zu entwickeln.
3. Lassen Sie sich von der Macht und der Kraft Ihrer eigenen Daten ermutigen
Betrachten Sie das wachsende Datenvolumen nicht als Bedrohung, sondern als Chance, Fraud- und Compliance-Risiken wirksamer zu managen. Nutzen Sie Ihre eigenen Daten, um potenzielles Fehlverhalten besser und schneller zu erkennen und die Maßnahmen zu zukünftigen Verhinderung aktiv zu steuern.
4. Aufklären und Verständnis schaffen - nicht schulen
Wie in unserer Befragung hervorgehoben wird, kommen Botschaften zu Compliance und Integrität langsam an – und dies bei einer gefühlt wachsenden Tendenz zu Fehlverhalten. Entwickeln Sie kluge und nachhaltige Kommunikationsstrategien, die das Bewusstsein in Bezug auf die Relevanz von Integrität und Compliance für das Unternehmen und die Mitarbeitenden selbst besser erklären und so als tägliche Routine verinnerlichen.
5. „Tone from the Top“ und „Tone from the Middle“ sind bei der Integrity Agenda unerlässlich
Sprechen Sie das Thema aktiv an und unterstützen Sie hierbei auch eine Speak-Up Kultur. Geben Sie Ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit, potenzielles Fehlverhalten in einem sicheren Umfeld zu melden und dass sie sich ernst genommen fühlen; dass das Unternehmen unabhängig bei potenziellen Fehlverhalten agiert und Hinweisgeber vor Repressalien geschützt sind.
Fazit
Bei Integrität in der Wirtschaft geht es nicht nur um die Einhaltung von Vorschriften und Risikomanagement - es geht um den Schutz des Unternehmens, seiner Vermögenswerte und seines Rufs. Integrität ist die Grundlage für die Förderung des Vertrauens zwischen Aktionären und Führungskräften, Unternehmen und Mitarbeitenden, Lieferanten und Partnern. Der EY Global Integrity Report 2022 ist ein Warnsignal für Unternehmensorgane, Leiter der Rechtsabteilung und Compliance-Beauftragte, sich auf hohe ethische Standards im gesamten Unternehmen zu fokussieren und Daten des eigenen Unternehmens zur Erreichung dieser Ziele zu nutzen.