Starker Anstieg an Allianzen – die vorsichtigere Lösung
Ganz im Gegensatz zu den Einbrüchen bei M&A und IPOs erreichten die Allianzen 2022 ein Rekordvolumen von mehr als 14,24 Milliarden Euro, womit deutsche Biotech-Unternehmen nicht nur an fast 40 Prozent des europäischen Allianzvolumens beteiligt waren, sondern den bisherigen Höchstwert von 2018 mit 7,41 Milliarden nahezu verdoppeln konnten. Gegenüber dem Vorjahr stieg das Volumen sogar um satte 320 Prozent.
Bombastische Zahlen mit Kehrseiten: Allein sechs Mega-Deals decken 88 Prozent des Gesamtvolumens der Allianzen ab, die breitere Masse an Unternehmen profitiert davon entsprechend nicht. Dazu macht die Zunahme deutlich, dass die Pharmabranche auf Allianzen statt auf M&A setzt und als Käufer aktuell verunsichert ist. Obwohl die finanziellen Mittel vorhanden wären, scheut sie aktuell das Risiko, das mit einem Erwerb eines Unternehmens verbunden ist – und verhindert in der Konsequenz den Ausbau der eigenen Produktpipeline, um den Growth Gap zu schließen. Langfristig können die Pharmaunternehmen es sich daher nicht leisten, innovative Ideen und Plattformtechnologien, mit deren Hilfe sich viele Wirkstoffe produzieren lassen, nicht für sich exklusiv zu beanspruchen – zumal beständig Patentausläufe hinzukommen. Mit Allianzen sichern sie sich zwar die Exklusivität für bestimmte Produkte in einzelnen Indikationen, aber nicht für die gesamte Technologie. Bleibt diese Entwicklung bestehen, könnten sich daraus mehr große Biopharmakonzerne bilden, auch als Konkurrenz zur bestehenden Pharmabranche.
Ob diese sich bald wieder an M&A traut – wovon wir ausgehen – oder nicht: Der Anstieg an Allianzen ist ein klares Zeichen für die Attraktivität und Reife deutscher Biotech-Unternehmen.
Biotechnologische Verfahren werden signifikant dazu beitragen, den Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft zu beschleunigen und umzusetzen.
Produktpipeline voller Potenzial
Diese Attraktivität fußt unter anderem auf der interessanten und gut gefüllten Produktpipeline der Biotechnologieindustrie. Die innovative Kraft der Unternehmen in Plattformtechnologien verschafft ihnen auch global eine führende Rolle, hervorstechend dabei die RNA-Technologie und andere sogenannte „New Modalities“, welche das größte Wachstum im Gesundheitswesen versprechen. Aktuell gibt es allein 17 Phase-III-Studien, also Produkte, die vor der Zulassung stehen und in der Hand deutscher Biotech-Unternehmen liegen. Um allein dieses Wertschöpfungspotenzial zu heben und die Produkte mit der eigenen nötigen Finanzkraft in den Markt zu hieven, ist ein zeitnaher Investitionsschub in diesem und im nächsten Jahr von so großer Bedeutung.
Ausbau zum Aushängeschild statt abhängen lassen
COVID-19 hat einen Teil der Biotechnologie als gesundheitlichen Weltretter in die Mitte der Gesellschaft geschoben. Was hier noch nicht angekommen ist: ihre Bedeutung als Antwort auf viele weitere Herausforderungen der Zukunft. Biotechnologische Verfahren werden signifikant dazu beitragen, den Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft zu beschleunigen und umzusetzen: Die Bioökonomie wird die Lösungen bieten, die wir brauchen. Von Energie bis Ernährung, von Recycling bis zu Raffinerie-Ersatzprodukten.
Überhaupt bietet Biotechnologie zum Megatrend Nachhaltigkeit viele Ansätze, die für sie selbst und andere von Nutzen sein können. Investoren legen in ihrem Portfolio inzwischen gesteigerten Wert auf ESG-Aspekte, die für Environmental, Social und Governance stehen und somit auch gesellschaftliche Auswirkungen einbeziehen. Daher sollten Biotech-Unternehmen sich nachhaltig positionieren, Risiken sowie Chancen kennen und transparent nach außen kommunizieren. Relevante Punkte sind beispielsweise Abfall- und Gefahrstoffmanagement oder auch ethische Aspekte bei Tierversuchen und Studien an Menschen. Biotechnologie kann außerdem ESG-Themen mit gesellschaftlicher Relevanz adressieren, wenn es zum Beispiel um Therapeutika und Diagnostika zu bis dato unheilbaren Krankheiten geht.
Wir haben alle Voraussetzungen, um Biotechnologie zu einem großen Aushängeschild für Deutschland zu machen. Auch das hat COVID-19 gezeigt. Und wenn wir vereinzelt straucheln, stolpern oder sogar stürzen: Ohne Mut zum Risiko (mental wie finanziell) gibt es keinen Erfolg. Das Rad muss sich jetzt drehen. Appell!
Fazit
Mit der Impfstoffentwicklung für COVID-19 trat die Biotechnologie aus ihrem Schattendasein heraus – doch der erlösende Moment bleibt aus. Das Investitionsvolumen fällt zwar nicht auf die Zeit vor der Pandemie zurück, aber es bedarf beständiger und mehr Finanzierung, um sie erfolgreich zu dem auszubauen, was sie ist: eine der Schlüsselbranchen der Zukunft.