Für Hersteller von Spezialchemikalien ist das sicher anders, denn sie bringen ihr Material mit einem hoffentlich positiven Handprint in den Kreislauf eines Hauptmaterials ein, das dann zirkuliert. Ein Beispiel wären Katalysatoren, die aber auch als Service versus Verkauf angeboten werden können. Der Kunde zahlt dann für die Nutzung und das Ergebnis, nicht das Material.
Das bedeutet, die Wertschöpfungsketten werden komplexer?
Ja, sie werden für die Industrie erst einmal komplexer, weil Wert nur generiert wird, wenn wir die ganze Wertschöpfungskette erfassen und messen können. Das geht mit multilateralen Ökosystemen und synchronisierten Prozessabläufen. Wir haben also mehr Spieler, mehr Prozesse im Blick und auch viel mehr Daten, die gemessen, evaluiert und beplant werden müssen.
Wie könnte Komplexität an anderer Stelle reduziert werden, und welche Rolle spielt die Digitalisierung für die Erreichung der Kreislaufwirtschaft?
Sobald wir neue Kreislauf-Archetypen etabliert haben, werden wir auf der neuen Plattform wieder Komplexität mit den uns bekannten Methoden reduzieren. Ich denke ich muss nicht sagen, dass das alles nur funktioniert, weil wir im Rahmen der Digitalisierung Daten wesentlich besser erfassen und bewerten können als früher. Zudem hilft uns das Arbeiten in der Cloud, und alle Hilfsmittel der Data Economy kommen in den neuen Kreislaufmodellen zum Einsatz. Zusammengefasst helfen uns also digitale Hilfsmittel, die Komplexität besser zu managen und die Prozessfähigkeit zu erhöhen.
Unternehmen digitalisieren ihre unternehmerischen, technologischen und operativen Prozesse typischerweise nacheinander und in Silos, auch weil sie die Kosten über die Zeit verteilen wollen. Ist dieses Vorgehen ratsam?
In der Reifegradentwicklung von Kreislaufmodellen definieren wir gerade erst die erste Ebene und diese muss zunächst horizontal funktionieren. Es gibt also wenig Bedarf für eine vertikale Vertiefung. Ich glaube aber nicht, dass das in der Kreislaufwirtschaft ernsthaft angedacht wird. Man wird erst einmal das funktionierende Kreislaufmodell sehen wollen, bevor in der Tiefe Prozesse verbessert werden.
Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft muss aber nicht nur Kostentreiber, sondern kann auch Wachstumstreiber sein. Wie sollten Chemieunternehmen Innovationen im Bereich der Kreislaufwirtschaft in ihre Wachstumsstrategien integrieren?
Ich sehe drei große Value Pools. Die chemische Industrie kann durch konsequente Nutzung von Biomasse – aus Abfallströmen – grüne Grundstoffe und Energie erzeugen. Dabei wird aus „günstigem“ Abfall zurzeit teuer bewertete Energie beziehungsweise ein Kohlenstofflieferant. Die chemische Industrie macht sich zur Schlüsselstelle für „recycled polymer feedstock“ und orchestriert die Wertschöpfung und deren Verteilung. Enabler-Materialien, die einen positiven Handprint erzeugen werden nach Nutzwert bezahlt zum Beispiel in Service- und Leasing-Modellen. Dieser Nutzwert ermöglicht erst das Betreiben vieler Kreislaufmodelle und wird absehbar besser bezahlt werden als „nur“ der Verkauf einer Spezialchemikalie.
Das Interview mit Matthias Brey, EY Partner Life Sciences Supply Chain & Operations and Business Consulting-Leader in Chemicals & Advanced Materials, ist zuerst im CHEManager (Ausgabe 03/2022 | Wiley-VCH GmbH) erschienen.