5 Minuten Lesezeit 7 Juli 2022
Symbol des Euro

Europa vor der Zinswende

Von Andreas Steiner-Posch

Leiter Capital & Debt Advisory, Strategy and Transactions | Österreich

Ist Finanzierungsberater und Sparringpartner aus Leidenschaft mit dem Ziel, dass Strategie und Finanzierung zusammenpassen. Lebt mit seiner Familie in Linz. Ist Boogietrainer und Skifahrer.

5 Minuten Lesezeit 7 Juli 2022

Handlungsfelder ergeben sich für Finanzierung, Hedging und Cash-Management

Überblick
  • Die hohe Inflation zwingt die Notenbanken zur Anhebung der Leitzinsen
  • Die Finanzmärkte reagieren mit steigenden Zinsen und Risikoprämien
  • Handlungsfelder ergeben sich für Finanzierung, Hedging und Cash-Management

Der Krieg in der Ukraine und der Omikron-Ausbruch in China bergen Rezessionspotential für die Wirtschaft mit weitreichenden Folgen für Unternehmen und Finanzierungen. Trotz Energiekrise und Lieferkettenproblemen bereiten sich die Notenbanken darauf vor, mit Zinserhöhungen die hohe Inflation zu bekämpfen. Neben steigenden Rohstoff- und Energiekosten ergeben sich aus dem Anstieg der Zins- und Kreditmargen Herausforderungen für Finanzierung, Hedging und Cash Management. (Stand Ende Juni 2022)

Aufgrund der wirtschaftlichen Erholung, die bereits Mitte 2021 einsetzte und die Corona-bedingten Rückgänge in der Wirtschaftsleistung Großteils egalisiert hatte, und aufgrund der aktuellen, anhaltenden Inflationsentwicklungen wurde bis vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine in Europa mit einer baldigen Zinswende gerechnet. In den USA sind die ersten Zinserhöhungen in März und Mai 2022 bereits erfolgt. Mit weiteren Zinsschritten wurde und wird im Laufe des Jahres gerechnet, sodass die kurzfristigen Zinssätze von 0,25% zu Jahresbeginn bis Dezember 2022 auf über 2,5% angehoben werden könnten. Weitere Erhöhungen könnten 2023 folgen.

Die EZB war zu Beginn des Jahres 2022 zurückhaltender. Aber auch hier ist der Druck durch die hohe Inflation gegeben und die EZB hat bereits angekündigt, die Anleihekaufprogramme zu reduzieren und bis zur Jahresmitte 2022 zu beenden. Damit ist auch in Europa der Einstieg für Zinserhöhungen eröffnet, ein erster Zinsschritt in Höhe von 0,25% ist bereits für die Sitzung im Juli angekündigt, weitere Zinserhöhungen sollten im September und im Dezember folgen. Bei der Sitzung der EZB am 14.04.2022 hat Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB festgestellt, dass „trotz der Abwärtsrisiken für die Wachstumsaussichten, die infolge des Krieges in der Ukraine erheblich zugenommen haben, die EZB primär für die Stabilität der Verbraucherpreise und des Finanzsystems zuständig sei und nicht für Wirtschaftswachstum.“

Für die Zinsschritte im Jahr 2022 durch die EZB spricht auch, dass Zentralbanken aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen nicht losgelöst von den geldpolitischen Maßnahmen in anderen Währungsräumen agieren können. Insbesondere die erwarteten Zinsschritte der FED werden die EZB weiter unter Druck setzen. Je länger die EZB mit Zinsanhebungen wartet, umso mehr schwächt sie den Euro gegenüber dem Dollar und treibt die Inflation über teure Importe weiter an.

Die hohe Inflation zwingt die Notenbanken zur Anhebung der Leitzinsen

Die Inflation betrug im Euroraum im Mai 2022 8,1% und eine Entspannung ist noch nicht in Sicht. Anders als in den USA, wo eine Erhöhung der Preise bereits auf breiter Front stattgefunden hat, wird die Inflation im Euroraum bisher durch den starken Anstieg der Energiepreise und mittlerweile auch durch Nahrungsmittelpreise getrieben.

Es ist zu befürchten, dass ähnlich zu den Entwicklungen in den USA auch in Europa noch deutliche Preissteigerungen in weiteren Warenkörben erfolgen werden. Die Großhandelspreise sind im Vergleich zum Mai des Vorjahres bereits um 25,1% angestiegen. Diese enormen Preissteigerungen im Großhandel werden voraussichtlich (teilweise) auf die Konsumentenpreise übergewälzt und sollten somit die Inflation weiter antreiben. So geht die EZB in ihrer jüngsten Prognose von Anfang Juni von einem Anstieg der Verbraucherpreise 2022 von 6,8 Prozent aus. Anfang Februar – also noch vor der russischen Invasion der Ukraine – hatten Volkswirte der EZB lediglich einen Wert von 3,0 Prozent veranschlagt.

Ein Tritt auf die Geldbremse ist zwar notwendig, gefährdet aber das Wachstum. Bisher ist es den Notenbanken selten gelungen, eine hohe Inflation zu bekämpfen, ohne die Wirtschaft in eine Rezession zu stürzen.

Die Finanzmärkte reagieren mit steigenden Zinsen und Risikoprämien

Die Finanzmärkte haben auf diese Risikopotentiale durch Inflation, die Energiekrise und den Omikron-Ausbruch in China bereits reagiert. Sowohl die risikolosen Zinsen als auch die Risikoaufschläge für Fremdkapital sind zuletzt gestiegen.

Blickt man auf die risikolosen Zinsen, so sind sowohl die Anleiherenditen deutscher und österreichischer Staatsanleihen als auch die EUR-Swap-Sätze als Maßstab für risikolose Zinsen im Interbankengeschäft seit dem Jahresanfang 2022 stark gestiegen. Auf eine Laufzeit von 10 Jahren betrug dieser Anstieg etwa 2,0 Prozent. Analysten erwarten für die nächsten 12 Monate, dass die risikolosen Zinsen mindestens auf diesem höheren Niveau bleiben. Auch die Kosten für Zinsabsicherungen sind auf einem Mehrjahreshoch.

Auch bei den kurzfristigen Zinssätzen ist eine Entwicklung zurück in den positiven Bereich zu beobachten. Sowohl der 12M Euribor als auch der 6M Euribor sind bereits wieder deutlich positiv. Somit werden trotz der mittlerweile marktüblichen Zinsfloors auch Kredite mit variablen, EURIBOR-gebundenen Zinsen für die Kreditnehmer teurer.

Entwicklung der Risikoaufschläge auf Fremdkapital noch moderat, ein Anziehen wird erwartet

Aufgrund des unsicheren wirtschaftlichen Umfelds steigen die Risikoaufschläge für Fremdkapital kontinuierlich. So sind die Fremdkapital-Zuschläge bei 10-jähriger Laufzeit seit Jahresanfang 2022 je nach Ratingstufe um weitere 0,35% bis 1,35% gestiegen, nachdem diese Aufschläge im Zuge der Corona-Welle im Herbst 2021 bereits um 0,25% gestiegen waren.

Analysen des EY Banken- und FinTech-Barometers Deutschland 2022 und Befragungen durch die EZB zeigen aber, dass die Geschäftsbanken mit einer geringeren Risikobereitschaft und einem Anstieg bei den Risikoprämien im Laufe des Jahres 2022 rechnen. Die Banken gehen tendenziell von einer Anpassung der Konditionen nach oben aus – vor allem bei Immobilien- und Firmenkrediten.

Die befragten Banken erwarten darüber hinaus eine restriktivere Kreditvergabepolitik, eine Verschärfung bei den Vertragsbedingungen und höhere Besicherungsanforderungen.

Handlungsfelder ergeben sich für Finanzierung, Hedging und Cash Management

In unsicheren Zeiten ist eine gesicherte Finanzierung entscheidend, um operative Verwerfungen aufzufangen und strategisch handlungsfähig zu bleiben. Unternehmen benötigen verstärkt kurzfristige Kredite, um Lieferengpässe und gestiegene Kosten in der Supply Chain zu bewältigen. Aus diesen Herausforderungen ergeben sich zahlreiche Handlungsfelder für die Finanzierungen eines Unternehmens, für ihre Absicherungspolitik im Hinblick auf Zinsen, Währungen und Rohstoffe und für das gesamte Working Capital- und Cash Management.

Fazit

EY verfügt über Finanzierungsberater:innen mit langjähriger Erfahrung und umfangreichem Netzwerk. Wir unterstützen Sie bei Neufinanzierungen, Hedgings, Szenarioanalysen bis hin zu Waiver-Prozessen.

Über diesen Artikel

Von Andreas Steiner-Posch

Leiter Capital & Debt Advisory, Strategy and Transactions | Österreich

Ist Finanzierungsberater und Sparringpartner aus Leidenschaft mit dem Ziel, dass Strategie und Finanzierung zusammenpassen. Lebt mit seiner Familie in Linz. Ist Boogietrainer und Skifahrer.