Herausforderungen im Distressed-M&A-Verlauf
Ein M&A-Prozess in einer angespannten Lage weist aufgrund der beschriebenen Rahmenbedingungen eine erhöhte Komplexität im Vergleich zu üblichen Prozessen auf. Zu beachten sind hier vor allem folgende Themen, die häufig zu kurzfristig wechselnden Anforderungen und entsprechend geringer Prozesssicherheit führen.
Die Transaktionsstruktur ist zu Beginn eines Distressed-M&A-Prozesses erfahrungsgemäß oft unklar. Infrage kommen beispielsweise oftmals die Veräußerung von Gesellschaften beziehungsweise einzelner Teilbereiche oder die Beteiligung eines Investors, entweder mit dem Ziel der Kapitalstärkung oder im Rahmen eines strategischen Investments. Diese grundsätzlichen Entscheidungen kristallisieren sich häufig erst zu einem verhältnismäßig späten Zeitpunkt im Distressed-M&A-Prozess heraus.
Vor weitere Herausforderungen können die Beteiligten durch mangelnde Datenqualität – insbesondere durch eine nicht belastbare Zahlenbasis und durch eine nicht untermauerte Planung – gestellt werden. Dies ist speziell angesichts des herrschenden Zeitdrucks zur Bereitstellung entscheidungsrelevanter Unterlagen problematisch.
Die hohe Kapazitätsbindung der Management-Ressourcen in einer angespannten Lage einerseits und unterschiedliche Interessenlagen und vor allem differenzierte Einschätzungen zum Krisenstadium des Unternehmens andererseits können die Zusammenarbeit mit dem Management im Prozessverlauf wesentlich beeinflussen.
Hinzu kommt, dass sich meist auch die Anzahl und Interessen der Stakeholder signifikant von jenen bei anderen M&A-Transaktionen unterscheiden.
Interessen der Stakeholder
Der Verkaufsprozess vor einer drohenden oder bereits eingetretenen Insolvenz erfordert eine zielgerichtete Koordination und Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Stakeholdern mit zum Teil widersprüchlichen Interessen.
- Für potenzielle Investoren stehen vor allem Transparenz, Plausibilität und Nachvollziehbarkeit der Finanzzahlen und der Businessplanung sowie eine klar definierte Transaktionsstruktur unter Berücksichtigung zukünftiger weiterer Restrukturierungen im Vordergrund.
- Zentrale Interessen des Managements (beziehungsweise etwaiger Verwalter) sind hingegen die Befriedigung der bestehenden Gläubiger, die Limitierung der Verluste, die Sicherung möglichst vieler Arbeitsplätze sowie das Ziel der Fortführung des Unternehmens und gegebenenfalls die Bewahrung der eigenen Integrität.
- Gläubiger fordern in der Regel die maximale Bedienungsquote, Klarheit über den Fortgang der Geschäftsbeziehung und eine entsprechende Balance zwischen Vorfinanzierung und Risiko, während aus Sicht des zu veräußernden Unternehmens die Sicherstellung der Versorgung im Vordergrund steht.
- Für Kunden sind Planungssicherheit und Liefertreue von zentraler Bedeutung.
- Zentral für Mitarbeiter ist die Arbeitsplatzsicherheit, während für das betroffene Unternehmen der Erhalten von Mitarbeitern in Schlüsselpositionen und von Knowhow essenziell ist.
Die entsprechende Berücksichtigung und gegebenenfalls Abstimmung dieser vielseitigen und teilweise konträren Stakeholder-Interessen unter hohem Zeitdruck und hoher Kapazitätsauslastung stellt eine der zentralen Herausforderungen im Rahmen der Transaktion dar.
Differenzierte Sichtweise der Investorengruppen
Ein weiterer zentraler Erfolgsfaktor eines jeden Distressed-M&A-Prozesses ist die Ansprache der richtigen Investoren bzw. Investorengruppen. Die Auswahl potenzieller Investoren richtet sich in einem Distressed-Umfeld neben Faktoren wie Branche, Standort oder Unternehmensgröße auch nach dem jeweiligen Krisenstadium. Fundierte Kenntnisse der Investorenlandschaft sind daher für ein Gelingen der Transaktion von fundamentaler Bedeutung.
Für strategische Investoren stehen Überlegungen wie beispielsweise die Gewinnung von Marktanteilen, die Ergänzung des eigenen Produktprogramms oder die Nutzung von Synergiepotenzialen im Vordergrund. Auch Finanzinvestoren investieren tendenziell eher in Unternehmen in frühen Krisenstadien. Unternehmen, die sich in späteren Krisenstadien befinden, sind als Target für Opportunity- und Risikoinvestoren von größerer Bedeutung.