Die Gesellschaft steht Unternehmensentscheidungen in Krisenzeiten zunehmend kritisch gegenüber. Entscheidungen, die von Unternehmen und Regierungen im Krisenmodus auf dem Höhepunkt der Pandemie getroffen wurden, werden auch in den kommenden Monaten und Jahren weiterhin bewertet. Integres Handeln ist heute wichtiger denn je. Aber mit den Herausforderungen steigen auch die Risiken. Wie können sich Unternehmen in einer Umgebung mit immer mehr potenziellen finanziellen und rufschädigenden Fallstricken zurechtfinden?
Die Stunde der Wahrheit: Unternehmensintegrität in Krisenzeiten
Die überwiegende Mehrheit der zur Zeit des Pandemie-Höhepunktes Befragten ist der Ansicht, dass COVID-19 ein Risiko für das ethische Geschäftsverhalten in ihrem Unternehmen darstellt. Tatsächlich ist eine beträchtliche Anzahl Mitarbeiter nach wie vor bereit, unethisch zu handeln, um persönlichen oder finanziellen Gewinn zu erzielen. Die globale Pandemie verschärft dies, indem sie die Anreize dafür erhöht und neue Möglichkeiten für Betrugsfälle eröffnet.
Schon vor dem Ausbruch der Pandemie sahen sich die Unternehmen einem erheblichen Druck ausgesetzt. Handelskriege, Sanktionen und Exportkontrollen, Betrug und politische Umwälzungen lasteten schwer auf den Unternehmen. Abgesehen von den sich verschlechternden Marktbedingungen sind die Befragten der Meinung, dass die größten Risiken durch COVID-19 in Bezug auf ethisches Verhalten die folgenden sind:
- Unterbrechung traditioneller Arbeitsmuster, wie die Zunahme von Remote Working (33 %)
- Unterbrechung von Lieferketten (28 %)
- Reduzierung der Leistungen und Vergütungen für Arbeitnehmer (24 %)
- Reduzierung des Personalbestands (22 %)
Unsere Recherche zeigt auch ein besorgniserregendes Ungleichgewicht hinsichtlich der Wahrnehmung ethischen Verhaltens bei verschiedenen Dienstgraden innerhalb von Unternehmen. Die Mehrheit (53 %) der Nachwuchskräfte bezweifelt, dass sich das Management an die einschlägigen Gesetze, Verhaltenskodizes und Branchenvorschriften hält. Im Gegensatz dazu sind 58 % der Vorstandsmitglieder sehr zuversichtlich, dass sie sich an die Regeln halten. Unterdessen wären 13 % aller Befragten bereit, unethisches Verhalten Dritter zu ignorieren, um ihre Karriere zu fördern oder ihre Bezahlung zu beeinflussen. Diese Zahl steigt bei den Vorstandsmitgliedern auf 20 %.
Erhöhter Druck – und verstärkte Kontrollen
Laut einer Recherche von The Economistwerden die wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 in Zukunft vermutlich die ideale Grundlage zur Entfaltung weiterer Betrugsfälle schaffen, indem sie die Betrugsmuster eines ganzen Jahrzehnts aufdecken, während gleichzeitig neue Betrugsmuster entstehen.1
Darüber hinaus haben sich die Ansichten der Gesellschaft seit der globalen Finanzkrise 2007–08 dramatisch verändert, sodass Unternehmen mehr denn je unter Druck geraten, durch Umwelt-, Sozial- und Governance-Initiativen (ESG-Initiativen) Gutes für Mensch und Planet zu tun. Dieser gesellschaftliche Wandel weitet sich auf eine genauere Kontrolle sowohl der Unternehmen als auch des Verhaltens ihrer Mitarbeiter aus. In der Zwischenzeit wurde durch Social Media eine Plattform geschaffen, die es ermöglicht, Integritätsfragen offen zu diskutieren. Verbraucher nehmen dies zur Kenntnis und machen davon Gebrauch.
In einer Welt nach COVID-19 müssen Unternehmen besonders hart daran arbeiten, ihre Unternehmen wieder aufzubauen und sowohl mit bestehenden als auch mit neuen Bedrohungen resilienter umzugehen. Wenn Unternehmen zum Beispiel ihre Lieferketten neu aufbauen, müssen sie sorgfältig auf die geschäftlichen und Compliance-Implikationen achten, die sich aus dem Wechsel von Lieferanten, Logistikrouten und Beschaffung ergeben. Sanktionsverstöße während der Pandemie könnten wiederkehren und regulatorische, finanzielle, betriebliche und Rufschädigungen nach sich ziehen.
Die Lösung: Integrität
Doch inmitten dieser wachsenden Herausforderungen können sich Unternehmen schützen, indem sie eine „Integritätsagenda“ schaffen, um angemessen auf die Krise und ihre Folgen zu reagieren. „Unternehmensintegrität ist kein ‚Greenwashing‘ oder der Eindruck, das Richtige für die Presse zu tun“, sagt Tony Jordan, EY Americas Forensic & Integrity Services Leader. „Integrität bedeutet, sich so zu verhalten, dass ein langfristiger Mehrwert zur Unterstützung der Gesellschaft geschaffen wird, der die Unternehmen dienen.“
Die Entwicklung einer Integritätsagenda schützt Unternehmen nicht nur, indem Bußgelder und Strafen vermieden werden. Sie kann ihnen auch helfen, finanziell zu expandieren und Stakeholdern einen langfristigen Mehrwert zu liefern. Recherchen von Ethisphere ergaben beispielsweise, dass die ethischsten Unternehmen der Welt den US-Großkapitalisierungssektor über einen Zeitraum von fünf Jahren um 13,5 % übertroffen haben.2
Wir sehen bereits erste Anzeichen dafür, denn mehr als 70 % der ESG-Fonds über alle Anlageklassen hinweg in den ersten vier Monaten des Jahres 2020 besser abgeschnitten haben als ihre Wettbewerber. Und Unternehmen, die starke, auf Vertrauen basierende Partnerschaften mit Zulieferern, Mitarbeitern, Investoren, Regulierungsbehörden und Regierungen pflegen, haben robustere und agilere Geschäftsabläufe, die sich schnell an neue Bedingungen anpassen können, berichtete das Wall Street Journal im Mai 2020.3