Welche Erfahrungen haben Sie bezüglich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gemacht?
Ingrid Rattinger: Prinzipiell muss jeder für sich überlegen, was das Beste ist. Für mich hatte der Beruf immer einen hohen Stellenwert. Ich habe zwei Kinder, war aber nicht in Karenz. Daher habe ich alles immer so organisiert, dass sich das gut verbinden lässt. Aber es ist natürlich auch wichtig, dass das Unternehmen flexibel ist. Es braucht diesbezüglich flexible Arbeitszeit- und Arbeitsortmodelle.
Katharina List-Nagl: Meine Erfahrung ist ähnlich. Ich habe ebenso zwei Kinder, brauche aber einfach auch diese berufliche Herausforderung. Das sage ich auch meinen Kindern und versuche, ein Vorbild zu sein. Ohne familiären Rückhalt und Nanny würde das System aber nicht funktionieren. Mein Mann und ich teilen uns die Betreuung 50:50 und eine Zeit lang hat er auch 40 Stunden von Montag bis Donnerstag gearbeitet und war amFreitag zu Hause. Ansonsten versuchen wir bei F/LIST, jungen Eltern möglichst viel Flexibilität zu bieten. Ich habe absolutes Vertrauen in Jungmütter, die Karriere machen wollen. Damit habe ich nur gute Erfahrungen gemacht.
Diese Schwierigkeiten betreffen sehr oft Frauen. Wie steht es abgesehen von den familiären Aspekten um die Frauen im Arbeitsmarkt?
Ingrid Rattinger: Es ist leider immer noch so, dass in Österreich und auch in Deutschland vier von fünf Unternehmen zur Gänze von Männern geführt werden. In den Vorstandsebenen sind Frauen nach wie vor die Ausnahme, bei den Aufsichtsräten sieht es durch die verpflichtende Genderquote von 30‑% mittlerweile besser aus. Hier gibt es einfach wahnsinnig viel Aufholbedarf. Je höher die Managementebene ist, umso niedriger wird der Frauenanteil und da muss man, denke ich, ganz massiv Frauen fördern. Ganz generell funktionieren diverse Teams am besten, nicht nur, was das Geschlecht betrifft, sondern auch die Nationalität, denn unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Sichtweisen. Katharina List-Nagl: Bei uns ist es so, dass diejenigen den Job ausüben, die dafür auch am besten geeignet sind. Und da sind sehr viele Frauen dabei. Ich glaube aber, dass viele Frauen ein entscheidendes Problem haben: Wenn es darauf ankommt, können sie sich nicht so selbstbewusst präsentieren, wie das oft bei Männern der Fall ist. Auch ich selbst stehe nicht gerne im Rampenlicht, wenn ich weiß, dass die Leistung eigentlich mein Team erbracht hat. Diese Unsicherheit muss man aber überwinden.
Ein zentrales Thema auf dem Arbeitsmarkt ist im Moment Automatisierung und Digitalisierung. Inwiefern hat die technologische Entwicklung die Anforderungen an Ihre Mitarbeiter verändert?
Katharina List-Nagl: Ganz stark. Früher hat es gereicht, Tischler zu sein – heute benötigt es viel mehr Wissen. Die Anforderungen nehmen zu. Wir setzen auf Offenheit für Neues und Weiterbildung. Ansonsten hat man als Unternehmen irgendwann Produkte, die nicht mehr konkurrenzfähig sind. Dazu überlegen wir rund um die Uhr, wie wir Prozesse automatisieren und vereinfachen können. Dabei ist unser Ziel aber nie, einen Mitarbeiter nicht mehr zu benötigen, sondern dessen Arbeit schlichtweg zu erleichtern.
Ingrid Rattinger: Durch Automatisierung und Digitalisierung entsteht eine immense Herausforderung, denn gerade in diesen Bereichen – Big Data, Robotics und AI – gibt es viel zu wenig Fachkräfte. Viele Arbeitnehmer haben auch Angst vor der Veränderung. Diese Unsicherheit muss man adressieren. Man muss erklären, dass Automatisierung nicht heißt, dass alle ihren Job verlieren. Repetitive Aufgaben, die vielleicht ohnehin niemand gerne macht, werden künftig zwar Maschinen erfüllen, aber dafür können wir uns auf andere Dinge konzentrieren. Selbstverständlich bedeutet das auch, dass Mitarbeiter neue Fähigkeiten benötigen. Insbesondere erfahrenen, älteren Mitarbeitern muss man hier die Angst nehmen und sie in diese neue Welt führen.
Ein umgekehrter Blick: Wie haben sich die Ansprüche der Mitarbeiter an das Unternehmen über die Jahre verändert?
Katharina List-Nagl: So wie die Kundenansprüche, steigen auch Ansprüche der Mitarbeiter. Bei Bewerbern habe ich oft das Gefühl, dass deren Selbstbewusstsein massiv gestiegen ist. Viele haben nicht mehr die Geduld, sich dorthin zu entwickeln, wo man eine Zukunft für sie sieht. Diese Mitarbeiter trotzdem zu begeistern und ihnen den Weg zu zeigen, das ist eine Herausforderung.