7 Minuten Lesezeit 21 Mai 2019
Geschäftsfrau arbeitet am Tablet

Wirtschaftsprüfung: Wie Künstliche Intelligenz für mehr Transparenz sorgt

Von Hubert Barth

Vorsitzender der Geschäftsführung | Deutschland I Managing Partner Assurance I Deutschland, Schweiz, Österreich

Ist Berater und Wirtschaftsprüfer aus Leidenschaft, der die Wirtschaft voranbringen möchte. Lebt mit seiner Familie und drei Kindern in Starnberg. Ist Hobbytriathlet und Skifahrer.

7 Minuten Lesezeit 21 Mai 2019

Big Data, Künstliche Intelligenz und Analytics sind viel diskutierte Themen. Sie revolutionieren den Prüfungsalltag in Unternehmen.

Es war schon immer die Wunschvorstellung jedes Wirtschaftsprüfers, das Zahlenwerk seines Mandanten vollständig erfassen zu können, statt anhand von Belegstichproben zu prüfen. Heute ist diese Wunschvorstellung zu einem großen Teil Realität. Neue Hardware- und Softwaresysteme machen es möglich, in der Abschlussprüfung die Vorteile der Digitalisierung umfänglich zu nutzen. Sich dynamisch entwickelnde Technologien agieren dabei als „Prüfungshelfer“. 

Aktuelle Stichworte sind Cloud, RPA (robotergesteuerte Prozessautomatisierung), Process Mining oder Machine Learning. Dabei handelt es sich überwiegend um Technologien auf dem Weg zur sogenannten Künstlichen Intelligenz (KI). In ihrem Zusammenwirken erlauben diese einzelnen Anwendungen und Systeme eine völlig neue Qualität der Wirtschaftsprüfung und der Kommunikation zwischen Prüfer und Mandanten.

Ihr Einsatz bringt eine erheblich höhere Genauigkeit und Sicherheit der Prüfungsaussagen, klarere Erkenntnisse über Risiken, erheblich tiefere Einblicke in die Abläufe und Strukturen des Geschäftsbetriebs, vorherrschende und teilweise noch nicht vollends sichtbare Trends und nicht zuletzt eine präzisere Prognostik. Das heißt: Wesentliche Prüfungsaussagen zum Abschluss des Mandanten werden auf ein spürbar höheres Niveau gehoben.

Die Digitalisierung schafft eine völlig neue Qualität der Wirtschaftsprüfung.

Mit neuen Wegen zu einer transparenteren Abschlussprüfung

Wir sind bei dieser Entwicklung auch in der täglichen Praxis mit dabei – ohne die tradierten Werte zu vergessen. Denn an der Kernaufgabe der Wirtschaftsprüfung hat sich seit mehr als hundert Jahren nichts geändert: Sie soll Vertrauen herstellen. Vertrauen in die geprüften Informationen, in Abschlüsse, Geschäftsprozesse, Verträge, Systeme und – natürlich – in das ganze Unternehmen. Dieses Ziel ist stets dasselbe geblieben. Die Funktionsweise des Kapitalmarktes ist bei börsennotierten Unternehmen ganz besonders durch dieses Vertrauen geprägt, denn auf ihnen basieren schließlich sämtliche Anlageentscheidungen.

Nur die Werkzeuge des Abschlussprüfers haben sich über die Jahrzehnte immer wieder gewandelt – von der einstigen Rechenmaschine mit Handkurbel über den Lochkartencomputer bis hin zum PC-Netz mit Hochleistungsrechnern im Hintergrund. Kein Technologiesprung erreichte indessen ein Ausmaß wie der aktuelle.

In der Entwicklung von Arbeitswelten innerhalb der Wirtschaftsprüfung sowie im Berufsbild des Abschlussprüfers gab es kaum eine spannendere Zeit als die heutige. Welche Instrumente der digitalen Abschlussprüfung es gibt und wie diese die Entscheidungsgrundlagen in Unternehmen deutlich verbessern können. 

  • Process Mining: Tiefgreifende Analyse von Unternehmensprozessen

    Mit den neuen Werkzeugen haben sich die Möglichkeiten der Prüfer exponentiell erweitert. Eine Schlüsseltechnologie ist Process Mining. Diese Applikation macht sich die Tatsache zunutze, dass jede Aktion, sogar jeder Mausklick im ERP-System (Enterprise Ressource Planning) Spuren hinterlässt. Anhand dieser Spuren kann Process Mining ganze Abläufe sekundengenau rekonstruieren und damit Prozesse sichtbar machen. An die Stelle der aufwendigen Prozessdokumentation und deren Nachverfolgung tritt die Abbildung der tatsächlichen Transaktionen – quasi per Knopfdruck.

    Entsprechend aufbereitet lassen sich daraus zum Beispiel verborgene Engpässe und Schwachstellen in den Abläufen ermitteln, aber auch auffällige Muster im Verhalten von Systemnutzern. Damit erhalten Prüfer und Mandant Hinweise auf Risiken, aber auch Ansatzpunkte zur Optimierung der Unternehmensprozesse und anderer Handlungsfelder.

  • Robotic Process Automation (RPA) für Routinearbeiten

    Ein anderes Instrument ist die Robotic Process Automation (RPA). Sie wird zumeist eingesetzt, um einfache, wiederkehrende und regelbasierte Tätigkeiten – also Routinearbeiten –, zu automatisieren. Das ist interessant, wenn es darum geht, riesige Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen aufzubereiten und einheitlich zu formatieren. Manuell wäre das eine schier unlösbare Aufgabe.

    Die Automatisierung macht es möglich, den gesamten Buchungsstoff aus dem ERP eines Mandanten für die Analyse bereitzustellen. Damit werden aus Wahrscheinlichkeiten Gewissheiten. Mit richtigem Verständnis erreicht die Abschlussprüfung  der Methoden, eine neue Ebene der Treffsicherheit.

  • Künstliche Intelligenz (KI) lernt stetig dazu

    Das Hauptmerkmal der Analyse mit KI-Methoden: Das System erkennt die unterschiedlichsten Muster selbstständig. Damit kann es Auffälligkeiten sichtbar machen – beispielsweise wiederholte Fehlbuchungen, Verstöße gegen Compliance-Regeln, Ausreißer bei der Kostenentwicklung, überhaupt Abweichungen von Standards. Die Technik agiert dabei nicht nur nach den einfachen Regeln eines Excel-Sheets, sondern als selbstlernendes System, das nach und nach auch versteckte Zusammenhänge im Zahlenwerk offenlegt. 

  • Big Data: Überblick riesiger Datenmengen

    Dank der Big Data-Fähigkeiten der Analysesysteme ist es heute möglich, mehrere Jahrgänge von Abschlüssen mit ihrem gesamten Buchungsstoff unter die Lupe zu nehmen. Dabei können positive wie auch negative Trends sichtbar werden. Interessant sind zum Beispiel schleichende Fehlentwicklungen mit der Möglichkeit, die Ursachen zu bestimmen. Sogar die Mehrjahresanalyse über verschiedene Unternehmen hinweg auf der Grundlage anonymisierter Daten wird möglich.

    Da das System aus Einzelfällen lernt, indem es selbst Zusammenhänge und Strukturen erkennt und seine „Einsichten“ speichert, kann es aus dem Gesamtfundus des Gelernten Hinweise auf Auffälligkeiten beim einzelnen Unternehmen geben, ohne die Referenz preiszugeben. Und es ermöglicht mehr als alle bisherigen Prüfungsmethoden den Blick auf wahrscheinliche künftige Entwicklungen. An genaueren Prognosen sind viele Stakeholder nachhaltig interessiert – vom Management selbst über Banken und Lieferanten bis hin zu Analysten und Investoren.

  • Cloud: Ständige Verfügbarkeit der Daten für alle Beteiligten

    Im Zusammenspiel zwischen Prüfer und Mandant spielt die Cloud, das externe virtuelle IT-Dienstleistungsvehikel, eine bedeutende Rolle. Sie dient als Plattform für Datenaustausch und -speicherung wie auch als Lieferant großer Rechnerleistung für die Bearbeitung der Big Data-Aufgaben, vor allem der Analyse von Milliarden Einzeldaten. Nicht minder wichtig ist sie für die Kommunikation.

    Dass Mandant und Prüfer über die Cloud-Plattform jederzeit Zugriff auf die jeweiligen Daten und Ergebnisse haben, und auch darüber kommunizieren können, vereinfacht die Zusammenarbeit für beide Seiten. Ein durchaus erwünschter Nebeneffekt: Durch den nahezu permanenten Austausch via Cloud wird die Abschlussprüfung zu einem mehr oder minder fortlaufenden Prozess. Dies entlastet beide Seiten und verkürzt die Reaktionszeiten.

  • Datensicherheit: Schutz von Daten hat höchste Priorität

    Der Austausch sensibler Daten über eine externe Plattform erfordert selbstverständlich höchst aufwendige Vorkehrungen zur Datensicherheit. Wichtig ist die Konformität mit allen Datenschutzbestimmungen und Sicherheitsnormen.

Der Mensch bleibt unverzichtbar

Wie sieht die Zukunft aus? Sicher ist: Die Prüfung wird sich zeitlich noch weiter entzerren und die direkte Kommunikation über Plattformen Abläufe vereinfachen. Mit seiner Prozesskenntnis und seiner prüferischen Kompetenz wird der Abschlussprüfer ein vertrauenswürdiger Geschäftspartner für Vorstand, Geschäftsleitung und den Aufsichtsrat. Da auch der Mandant selbst seine digitale Transformation vorantreibt, rückt zudem die Prüfung seiner Systeme noch weiter in den Vordergrund.

Trotz aller Automatisierung: Bei der Arbeit des Wirtschaftsprüfers bleibt der menschliche Faktor auch auf lange Sicht unentbehrlich. Die kritische Grundhaltung wird sich durch Algorithmen auf absehbare Zeit nicht ersetzen lassen. Und auch die modernsten OCR Applikationen zur Textanalyse unstrukturierter Textdaten werden einen erfahrenen Abschlussprüfer nicht ersetzen können. Neue Technologien schaffen aber den Freiraum, sich auf diese Prüffelder zu fokussieren, in denen vor allem Ermessensspielräume eine Rolle spielen und sich Entscheidungen nicht in feste Formeln übersetzen lassen.

Wir werden auch künftig beides brauchen: Generalisten und Spezialisten.

Zudem steht fest: In der Zukunft benötigt die Branche unterschiedliche Typen von Mitarbeitern. Den Generalisten, der mit den Technologien vertraut, aber nach wie vor tief in der Prüfung verwurzelt ist, und den Spezialisten mit einem sehr tiefen Verständnis der Technologie. Nur wenn die verschiedenen Fachkompetenzen im Team zusammenarbeiten, kann die Abschlussprüfung ein völlig neues Qualitätsniveau erreichen. Und nur mit dem vereinten Know-how kann sich die digitale Prüfung zügig weiterentwickeln. Diese Entwicklung hat gerade erst begonnen.

Fazit

Je transparenter Prüfungsergebnisse sind, desto mehr Vertrauen erzeugen sie und stärken ein Unternehmen. Das ist wichtig für prognoseorientierte Entscheidungen und für die Kooperation mit Stakeholdern. Die technologischen Instrumente für eine digitale Abschlussprüfung stehen erst am Anfang ihrer Entwicklung, bieten aber schon jetzt vielfältige und bemerkenswerte Möglichkeiten. 

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Von Hubert Barth

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