5 Minuten Lesezeit 10 Dez. 2021
Bild vom Verkehr in der Hauptverkehrszeit

Die Aufhebung von Einfuhrzöllen auf Industrieprodukte in der Schweiz

Autoren
Ashish Sinha

Associate Partner Indirect Tax / Global Trade | Switzerland

Business driven approach. Multicultural background. Loves travelling and learning about diverse cultures. Supports sustainable technology for a better working world.

Jonathan Baumeler

Senior Manager Indirect Tax / Global Trade | Switzerland

Technology enthusiast. Helps clients realise the benefits of Trade automation and analytics. Supporter of sustainability and conservation of natural heritage. Loves spending time in the mountains.

5 Minuten Lesezeit 10 Dez. 2021
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Die Verabschiedung des Gesetzes zur Abschaffung der Einfuhrzölle auf Industriegüter nach der Schlussabstimmung am 1. Oktober 2021 hat zu einigen Veränderungen geführt. Welche Chancen und Risiken sind damit verbunden?

Überblick
  • Welche Änderungen stehen bei den Einfuhrverfahren und der zolltariflichen Einreihung an?
  • Wie wirken sich diese Änderungen auf die Compliance-Vorgaben aus? 
  • Wie sollten sich Unternehmen auf die neue Gesetzeslage vorbereiten?

Im Dezember 2017 beschloss der Bundesrat verschiedene Massnahmen gegen die «Hochpreisinsel Schweiz», welche unter anderem die Aufhebung von Einfuhrzöllen auf Industrieprodukten beinhalteten. Durch die Aufhebung sollen vor allem Unternehmen (z.B. durch preiswertere ausländische Vormaterialien für Produktion) und Konsumenten (z.B. durch günstigere Gebrauchsgüter wie Autos, Textilien, Schuhe etc.) entlastet sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz insgesamt gestärkt werden. 

Gesamtwirtschaftliche Effekte

360m

Zusätzliche Nettozolleinnahmen, in CHF p.a.

Gemäss Berechnungen der Bundesregierung würden trotz Wegfalls der Zolleinnahmen von durchschnittlich CHF 500 Millionen jährlich die positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte dieser Massnahme mit rund CHF 860 Millionen pro Jahr überwiegen. Zudem sollen die Mindereinnahmen durch höhere Wirtschafts- und Handelsaktivitäten teilweise kompensiert werden.

Nach einer umfassenden Debatte wurde die Abschaffung der Industriezölle am 1. Oktober 2021 in der Schlussabstimmung von beiden Kammern im Parlament schliesslich angenommen. In der Botschaft des Bundesrats vom 27. November 2019 war die Änderung des Zolltarifgesetzes (Tarifsenkung auf null sowie eine Reduktion der Zolltarifnummern) für den 1. Januar 2022 vorgesehen. Aufgrund von Verzögerungen bei der Abstimmung (u.a. wegen der Covid-Pandemie) wurde die Gesetzesänderung jedoch erst später im Parlament beraten. Da die 100-tägige Frist für die Einleitung eines Referendums erst am 20. Januar 2022 ausläuft, wird die Abschaffung der Industriezölle nicht vor Januar 2022 möglich sein. Wird kein Referendum eingeleitet, ist anzunehmen, dass der Bundesrat bis zum Februar 2022 ein Datum für die Abschaffung von Einfuhrzöllen festlegen wird. Unter Berücksichtigung der einzukalkulierenden Vorlaufzeit für die Planung und (technische) Umsetzung durch die involvierten Parteien sowie angesichts des bereits verabschiedeten Bundesbudgets für 2022, wird mit einer Abschaffung der Zölle erst mit Wirkung zum 1. Januar 2024 gerechnet. Aufgrund des Wegfalls der Zölle wird auch der Schweizer Zolltarif von aktuell 6172 Tarifzeilen auf 4592 reduziert.

Mit dem Inkrafttreten der vorgesehenen Massnahmen entfallen – mit wenigen Ausnahmen im Bereich der industriell produzierten landwirtschaftlichen Produkte (z.B. Albumin, Dextrin oder saure Öle aus der Raffination der Zolltarifkapitel 35 und 38) – alle Einfuhrzölle auf Industrieprodukte (Zolltarifkapitel 25 bis 97). Nebst Zolleinsparungen kann die Abschaffung der Zollabgaben auch Möglichkeiten für Unternehmen durch vereinfachte und weniger zeitaufwändige Zollabwicklungen bieten, da gewisse Spezialverfahren (z.B. vorübergehende Einfuhr, aktive Veredelung) nicht mehr notwendig sein werden, um eine Zollbefreiung bei der Einfuhr zu bewirken. Eine weitere Vereinfachung ist die geplante Verringerung der Zolltarifnummern, die zusammen mit der Abschaffung der Zölle in Kraft treten wird (voraussichtlich Januar 2024). Die Tarifeinreihung von Produkten wird somit vereinfacht und ermöglicht den Unternehmen sowie der Zollverwaltung die zeitlichere Produkteinreihung. Nachfolgend sollen die Änderungen und deren Vereinfachungen an einem Beispiel visualisiert werden.

Das oben genannte Beispiel soll veranschaulichen, dass im Fall des einzuführenden Lederschuhs aktuell Unterschiede im Zollansatz je nach Paargewicht und der Grösse des Schuhs bestehen. Wird in diesem Beispiel eine im Rahmen des Freihandelsabkommens Schweiz-China zollfreie Einfuhr angestrebt, so muss ein gültiges chinesisches präferenzielles Ursprungszeugnis vorliegen. Ist dieses Dokument ungültig (z.B. aufgrund formeller Fehler), können, je nach Fall, Zollabgaben erhoben werden. Eine provisorische Zollanmeldung für die nachträgliche Vorlage eines Ursprungsnachweises ist zwar immer noch möglich, aber an gewisse Fristen und Gebühren gebunden. Hingegen werden für den neuen Schweizer Zolltarif hinsichtlich der Tarifeinreihung weniger Informationen benötigt (u.a. spielt das Paargewicht keine Rolle mehr) und es stehen weniger Tarifnummern zur Auswahl, was die Tarifierung wesentlich vereinfacht. Zudem ist für die Einfuhr in die Schweiz ein Ursprungszeugnis nicht mehr in jedem Fall notwendig (siehe hierzu jedoch Beispiel 2), da das Produkt auch ohne Vorlage eines Ursprungszeugnisses zollfrei eingeführt werden kann.

Die Einfuhrabwicklung wird durch die zollfreie Einfuhr von Industrieprodukten und die Änderung des Schweizer Zolltarifs für Unternehmen administrativ vereinfacht. Die Materie selbst wird damit aber nicht weniger komplex. Werden in der Schweiz ausländische Produkte / Vormaterialien für die Produktion, Veredelung oder den Weiterverkauf verwendet, müssen die betroffenen Unternehmen weiterhin einen Nachweis erbringen, dass die Ursprungsregeln eines anwendbaren Freihandelsabkommens entsprechend erfüllt wurden. Ist dies nicht möglich, so kann für das aus der Schweiz in einen Partnerstaat eines Freihandelsabkommens exportierte Produkt kein präferenzielles Ursprungszeugnis ausgestellt werden. Daher kann das Produkt auch nicht von den reduzierten Zollansätzen im Ausland profitieren. Aus diesem Grund sollten Ursprungszeugnisse auch bei zollfreien Einfuhren weiterhin deklariert werden, um den Audit Trail für Freihandelsabkommen und ursprungsrelevante Themen zu garantieren. 

The example above provides a simplified view of the audit trail within the EU and Switzerland.

Das vorstehende Beispiel stellt den Audit Trail innerhalb der EU und der Schweiz vereinfacht dar.

Im ersten Beispiel importiert ein CH Hersteller / Veredler im Rahmen des Schweiz-EU-Freihandelsabkommens industriell hergestellte Produkte mit EU-Ursprungsnachweisen. Zollabgaben würden infolge der Abschaffung von Industriezöllen zwar nicht mehr erhoben, es wird jedoch ein Ursprungsnachweis für die nachfolgenden Schritte benötigt. Im Nachgang werden die importierten Materialien bei der Herstellung eines Endprodukts verwendet. Der Hersteller / Veredler kann den präferenziellen Ursprung der importierten Materialien aus der EU nachweisen. Dies erlaubt ihm die Ausstellung eines präferenziellen Ursprungsnachweises, sofern die im Freihandelsabkommen mit der EU definierten Regeln eingehalten sind. Dank des Ursprungsnachweises des Endprodukts kann dieses nun zollfrei vom Kunden in Österreich eingeführt werden.

Im zweiten Beispiel bezieht ein CH Wiederverkäufer Waren von einem Lieferanten im Ausland ohne präferenziellen EU-Ursprungsnachweis. Da keine Industriezölle mehr anfallen, muss der CH Wiederverkäufer keine Zölle zahlen. Im Anschluss verkauft der CH Wiederverkäufer diese Waren an einen Kunden in Österreich. Da jedoch kein Ursprungsnachweis vom Lieferanten vorliegt, kann der CH Wiederverkäufer keinen Ursprungsnachweis ausstellen und der Kunde in Österreich muss entsprechende Zollabgaben bei der Einfuhr entrichten.

Die Beispiele zeigen, dass präferenzielle Ursprungsnachweise trotz der anstehenden Abschaffung der Einfuhrzölle auf Industrieprodukte immer noch benötigt werden. Ohne diese Nachweise können die im Freihandelsabkommen definierten Ursprungsregeln unter Umständen nicht mehr erfüllt und für den Kunden kein Ursprungsnachweis ausgestellt werden. Somit profitieren von der bevorstehenden Abschaffung vor allem Detailhändler und Unternehmen, deren Produkte für den Endverbrauch in der Schweiz bestimmt sind. Ob Ursprungsnachweise in Zukunft bei der Einfuhrabwicklung noch angemeldet werden müssen oder ob es eine alternative Möglichkeit gibt, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Es ist jedoch aufgrund des laufenden Transformationsprogramms der Schweizer Zollverwaltung «DaziT» und der geplanten Revision des Zollgesetzes durchaus denkbar.

Auch die Anpassung des Schweizer Zolltarifs durch die umfangreiche Reduktion von Schweizer Tarifzeilen erfordert eine frühzeitige Vorbereitung. Trotz der vereinfachten Tarifeinreihung bilden die Tarifnummern weiterhin das Kernstück der Verzollung und liefern wichtige Informationen zu möglichen Bewilligungspflichten, Ursprungsregeln sowie Exportkontrollen. Es ist somit essenziell, dass die internen Stammdaten auf die Änderungen hin aktualisiert werden, um unvorhergesehenen Ereignissen und Risiken vorzubeugen.

Schweizer Unternehmen sollen sich frühzeitig vorbereiten, um die Compliance zu gewährleisten, aber auch um von den Änderungen bei Zöllen und Tarifen zu profitieren.
Ashish Sinha
Associate Partner, Indirect Taxes and Global Trade | EY Switzerland

Die Abschaffung fast aller Zölle auf Industrieprodukte und die Anpassung der Schweizer Tarifnummern sind umfangreich und erfordern eine gute Planung. Schweizer Unternehmen sind daher gut beraten, sich frühzeitig vorzubereiten, um weiterhin die Compliance-Vorgaben einhalten und von den Änderungen profitieren zu können. In diesem Zusammenhang sollten Schweizer Unternehmen Folgendes beachten und in Erwägung ziehen:

  • Quantifizierung der Auswirkungen hinsichtlich potenzieller Zolleinsparungen und Compliance
  • Vollständige Aktualisierung der vorhandenen Stammdaten (z.B. Tarifnummern, Ursprungskalkulationen) und Vorbereitung auf die neue Struktur
  • Aktualisierung ursprungsrelevanter Compliance-Prozesse
  • Vorbereitung von externen Dienstleister-Assessments, um die korrekte Verzollung von Einfuhren sicherzustellen
  • Evaluation von neuen Beschaffungsmöglichkeiten und Partnerländern ohne bestehende Freihandelsabkommen für die Verbesserung der Lieferkette / Supply Chain (z B. für Vormaterialien)
  • Analyse möglicher Bearbeitungsschritte im Inland für die (Zwischen-)Verarbeitung aufgrund der Zollreduzierung
  • Prüfung der aktuellen Zollverfahren auf Optimierungsmöglichkeiten

Trotz geringerem bürokratischem Aufwand und Kosten durch die Abschaffung der Industriezölle sollten Unternehmen auch Neuentwicklungen im Bereich der grenzüberschreitenden Abgaben berücksichtigen. Die Europäische Union plant aktuell die Einführung sogenannter «Green Taxes» (Abgaben auf Produkte in Zusammenhang mit z.B. Plastik oder CO2-Emissionen). Damit sollen Unternehmen zu grösserer Nachhaltigkeit und erhöhtem Umweltbewusstsein bei der Produktion und bei der Beschaffung von Gütern motiviert werden. Es ist mithin denkbar, dass auch die Schweiz diesem Ansatz folgen und die abgeschafften Zölle bald durch eine neue Lenkungsabgabe ersetzen wird.

Fazit

Die Gesetzesvorlage zur Abschaffung der Industriezölle in der Schweiz wurde vom Parlament in der Schlussabstimmung am 1. Oktober 2021 angenommen. Die Abschaffung der Zölle wurde vor allem mit Kostensenkungen für die Verbraucher und die Wirtschaft sowie mit einem geringeren Verwaltungsaufwand begründet. Wird kein Referendum gegen die Änderung des Zolltarifgesetzes eingeleitet, könnten die Gesetzesänderungen bereits im Januar 2024 in Kraft treten. Zur Schaffung weiterer Synergien soll auch der Schweizer Zolltarif vereinfacht werden. Es sind jedoch keine Vereinfachungen hinsichtlich der Compliance-Vorgaben bei der Anwendung von Freihandelsabkommen (FTA) vorgesehen.

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Ashish Sinha

Associate Partner Indirect Tax / Global Trade | Switzerland

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