6 Minuten Lesezeit 7 Juni 2023
solar panel

Im Rennen auf dem Weg zum Netto-Nullpunkt: Wie entfernen wir das, was wir nicht reduzieren können?

Von Carmen Maria Sprus

EYCarbon and Smart City | Switzerland

Accompanies the transformation of corporates and cities to reduce their carbon footprint. Enthusiastic relationship builder who brings key stakeholders together to develop sustainable solutions.

6 Minuten Lesezeit 7 Juni 2023

Der Kampf gegen den Klimawandel erfordert technische Lösungen, die CO2 aus der Atmosphäre entfernen.

Überblick:
  • Treibhausgase tragen wesentlich zum Klimawandel bei.
  • Die Verringerung der CO2-Emissionen reicht nicht mehr aus, um den Klimawandel zu bekämpfen.
  • Negative Emissionen könnten uns helfen, unser Ziel zu erreichen, bis 2050 Netto-Null zu sein.

Der weltweite Ausstoss von Treibhausgasen, wie bspw. CO2, nimmt seit den 60er-Jahren kontinuierlich zu. Um die Beschleunigung des einhergehenden Klimawandels zu stoppen, wird versucht, den Energiebedarf unter anderem durch Energieeffizienzmassnahmen und digitale Technologien zu reduzieren. Darüber hinaus sollen erneuerbare Energie, Biomasse oder auch Wasserstoff fossile Energieträger ersetzen. Diese Bemühungen reichen allerdings bei Weitem nicht aus. Für unvermeidbare und historische Emissionen werden sogenannte negative Emissionen benötigt, weswegen die Technologie dafür immer wichtiger wird. Doch was steckt genau hinter negativen Emissionstechnologies, warum sind diese negative, und welche Herausforderungen stehen den neuartigen Methoden gegenüber?

Das Thema, das im Moment in aller Munde ist, lautet: Netto-Null. Netto-Null bedeutet, dass sich der Ausstoss von CO2 in die Atmosphäre und die Aufnahme von CO2 in natürlichen oder technischen Speichern die Waage halten. Vor allem nach COP26 steigen die Netto-Null-Verpflichtungen bis 2050 von Unternehmen und Staaten exponentiell an. Nach solch ambitionierten Zielsetzungen stellt sich aber die Frage: Wie sieht der konkrete Fahrplan zur Erreichung von Netto-Null aus?

Warum müssen wir über Negativemissionen sprechen?

Die Weltgemeinschaft hat sich an der UN-Klimakonferenz 2015 (COP 21) mit dem Übereinkommen von Paris für ein neues globales Klimaschutzabkommen ausgesprochen. 197 Staaten einigten sich, die durchschnittliche globale Erwärmung bis zum Jahr 2100 auf weniger als 2 Grad Celsius - wenn möglich auf 1.5 Grad Celsius - im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung zu begrenzen. Gemäß einem Sonderbericht des Weltklimarats IPCC hat das 1,5-Grad-Ziel gegenüber dem 2-Grad-Ziel deutliche Vorteile. Allerdings werden die aktuellen Aktivitäten auf der Welt zu einer Erwärmung von etwa 2,7°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau führen. Deshalb müssen die weltweiten Treibhausgasemissionen drastisch reduziert werden und bis Mitte des Jahrhunderts auf netto null sein, um das wissenschaftsbasierte Klimaziel bis 2100 zu erreichen.  Bisher blieben allerdings viele der notwendigen Transformationen aus (siehe auch Resultate des COP26). Die ambitionierten Klimaziele erfordern neben Effizienzmassnahmen und einem reduzierten Einsatz von fossilen Energieträgern auch eine verschärfte Klimapolitik und neue Technologien. Hier kommen die Negativemissionen ins Spiel.

Was sind Negativemissionen?

Der Begriff Kohlendioxidabscheidung (engl. Carbon Dioxide Removal, CDR) beschreibt bereits, was Negativemissionen sind. Bei der Kohlendioxidabscheidung, also der Rückholung von CO2 aus der Atmosphäre, geht es um das Gegenteil von Emissionen – daher die Bezeichnung der negativen Emissionen. Negative Emissionstechnologien entziehen der Atmosphäre Kohlendioxid und speichern dieses dauerhaft. Zwar werden international auch Verfahren diskutiert und erforscht, die andere Treibhausgase wie Methan aus der Atmosphäre entfernen. Da CO2 aber das bedeutendste und langlebigste Treibhausgas ist, fokussieren sich der IPCC-Sonderbericht zur Erwärmung um 1,5 Grad wie auch dieser Bericht auf die Entfernung von CO2.

Die Negativemissionen gehen somit einen Schritt weiter als die sogenannten Carbon Credits. Emissionsgutschriften und CO2-Zertifikate helfen zwar, Emissionen zu kompensieren, das vorhandene beziehungsweise das produzierte CO2 bleibt aber in der Atmosphäre. Genau hier setzen die negativen Emissionstechnologien mit einem grossen Vorteil an: Sie beseitigen den bereits vorhandenen Fussabdruck, indem sie das CO2 dauerhaft aus der Luft entziehen.

Negative Emissionen sind unverzichtbar für eine globale Erwärmung um maximal 1,5 Grad

Öl ist derzeit immer noch günstiger als Coca-Cola. Ein Barrel Öl enthält 159 Liter; 2021 betrug der Durchschnittspreis ungefähr 68 Dollar pro Barrel, das ergibt circa 0,42 Dollar pro Liter. Im Detailhandel bekommt man einen Liter Cola für 0,75 Dollar.

Fossile Brennstoffe sind aktuell noch zu günstig

15 Milliarden Liter Öl

werden jeden Tag Weltweit verbraucht.

Es gibt jedoch (noch) keine realistische Möglichkeit, Null-Emissionen zu erreichen, indem man einfach ganz auf Brennstoffe verzichtet oder alle Aktivitäten einstellt, die Brennstoffe erfordern. Im Durchschnitt aller IPCC-Szenarien müssen bis 2100 kumulativ 630 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen aus der Atmosphäre entfernt werden. Zum Vergleich: Die Menschheit emittiert jedes Jahr etwa 40 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent.  Eine Reduzierung der Emissionen um weniger als 100 Prozent würde den Temperaturanstieg - und damit den Klimawandel - nicht aufhalten, sondern allenfalls verlangsamen.  Um die schlimmsten Klimaszenarien zu verhindern und die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, müssen wir neben allen anderen Reduktionsmaßnahmen auch die emittierten Gase zurückgewinnen.

Die derzeitigen negativen Emissionsmethoden beruhen auf technischen, geochemischen oder biologischen Ansätzen.

  • Technical approach

     «Direct air capture»  und «Bio oil injection» gehören zu den technischen Verfahren. Beim Direct air capture filtern grosse Filtermaschinen CO2 direkt aus der Luft heraus. Das auf diese Weise zurückgeholte CO2 kann anschliessend unter anderem unter die Erde gepresst werden, wo es zu Karbonatmineralien mineralisiert und langfristig gespeichert wird. Bei der «Bio oil injection» Technologie wird Abfallbiomasse durch das Schnellpyrolyse Verfahren erst in Bioöl umgewandelt und dann in tiefe unterirdische Gesteinsformationen verpresst. Dort wird es dann wie Erdöl über Hunderte von Millionen Jahren gespeichert. Das Verfahren ist eine Möglichkeit um überschüssige Biomasse wie Sägemehl und Holz, Zuckerrohrbagasse, Maisstroh, Reisstroh oder Mandelschalen verrotten zu lassen (wodurch das gespeicherte CO₂ freigesetzt werden würde), in Bioöl zu speichern und somit CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen.

  • Geochemical approach

    Ein Beispiel  eines geochemischen Verfahrens ist «Enhanced Weathering» – die Verstärkung von natürlicher Verwitterung. Durch die Verstärkung natürliche Verwitterung durch zum Beispiel Steinstaub, können Kohlendioxidemissionen besser aus der Atmosphäre gebunden werden. Nach Studien der Columbia University in den USA hätte diese Methode das Potential 2 Milliarden Tonnen CO2 jährlich zu filtern, wenn Landwirte sie auf ihren Feldern anwenden würden.  

  • Biological approach

    Aufforstung , nachhaltige Forstwirtschaft sowie die Wiederherstellung von Küstenfeuchtgebieten und Mooren sind Vertreter der biologischen Methoden, welche ebenfalls das Potential haben CO2 aufzunehmen. Obwohl bspw. Moore nur drei Prozent der Erdoberfläche bedecken, speichern sie rund 30 Prozent des erdgebundenen Kohlenstoffs.

Welche Herausforderungen gilt es zu meistern?

Das Problem dabei: Viele der Technologien stecken noch in den Kinderschuhen und können noch nicht skaliert werden. Viele Ansätze sind noch zu wenig erprobt oder schlichtweg noch nicht einsatzbereit. Unter anderem ist dies auf mangelnde finanzielle Mittel respektive zu hohe Kosten der Technologie und schleppende Etablierung förderlicher Rahmenbedingungen zurückzuführen.

Klimawirksam sind die negativen Emissionen nur dann, wenn das CO2 der Atmosphäre auch tatsächlich dauerhaft entzogen wird. Gelangt es in die Luft zurück, ist die Wirkung zunichte.
Carmen Sprus
Project Lead EYCarbon and Smart City | Switzerland

Umso wichtiger sind die Erforschung und Entwicklung dieser Technologien. Nur so können sie einen wertvollen Beitrag leisten und andere Klimamassnahmen unterstützen. Denn eines ist sicher: CO2 reduzieren allein reicht nicht im Kampf gegen den Klimawandel. Um auf null Emissionen zu kommen, müssen wir die nicht vermeidbaren Emissionen einfangen und speichern.

Fazit

Die Klimakrise fordert sowohl ein Umdenken als auch eine verschärfte Klimapolitik. Das gemeinsam von der Weltgemeinschaft geschnürte Pariser Klimaschutzabkommen sieht eine dauerhafte Reduktion der CO2-Emissionen vor. Ein reduzierter CO2-Ausstoss allein reicht aber nicht im Kampf gegen den Klimawandel – bereits heute ist die Treibhausgaskonzentration in der Luft zu hoch. Negative Emissionstechnologien setzen hier an, indem sie CO2 aus der Luft absorbieren und dieses dauerhaft speichern. Die technologischen Ansätze sind allerdings aktuell noch zu wenig erprobt und noch nicht grossflächig einsatzbereit. Es fehlt aktuell an finanziellen Mitteln und förderlichen Rahmenbedingungen für eine Skalierung der vorgestellten Technologien.

  • Article references

    1. Schweizer Bundesrat (2020): Von welcher Bedeutung könnten negative CO2-Emissionen für die künftigen klimapolitischen Massnahmen der Schweiz sein? 62745.pdf (admin.ch)
    2. The Paris Agreement | UNFCCC
    3. Sonderbericht 1,5 °C globale Erwärmung – SR1.5 - de-IPCC
    4. Temperatures | Climate Action Tracker
    5. The Net-Zero Standard - Science Based Targets
    6. COP26 Outcomes - UN Climate Change Conference (COP26) at the SEC - Glasgow 2021 (ukcop26.org).
    7. Minx, J.C. et al. (2018) Negative emissions-Part 1: Research landscape and synthesis - IOPscience.
    8. Bill Gates (2021): How to avoid a climate disaster
    9. Die Welt verbraucht jeden Tag ein 76’000 km hohes Fass Erdöl – Energie-Umwelt.ch
    10. The Role of Atmospheric Carbon Dioxide Removal in Swiss Climate Policy - Texts (admin.ch)
    11. What Is Carbon Capture and Storage (CCS)? The Vacuum the Climate May Depend On – Bloomberg
    12. Steele, P., Yu, F. and Gajjela, S. (2009): Past, Present, and Future Production of Bio-oil 1079592 (osti.gov).
    13. Climate change: Stone dust in the field could bind billions of tons of CO2 - DER SPIEGEL
    14. Applying rock dust to croplands could absorb up to 2 billion tonnes of CO2 from the atmosphere, research shows | Energy Institute | The University of Sheffield
    15. Klimaschutz: Moore sind effektive CO2-Speicher | NDR.de – Ratgeber
  • Article references

    1. Schweizer Bundesrat (2020): Von welcher Bedeutung könnten negative CO2-Emissionen für die künftigen klimapolitischen Massnahmen der Schweiz sein 62745.pdf (admin.ch)
    2. The Paris Agreement | UNFCCC
    3. Sonderbericht 1,5 °C globale Erwärmung – SR1.5 - de-IPCC
    4. Temperatures | Climate Action Tracker
    5. The Net-Zero Standard - Science Based Targets
    6. COP26 Outcomes - UN Climate Change Conference (COP26) at the SEC - Glasgow 2021 (ukcop26.org).
    7. Minx, J.C. et al. (2018) Negative emissions-Part 1: Research landscape and synthesis - IOPscience.
    8. Bill Gates (2021): How we prevent climate catastrophe
    9. Die Welt verbraucht jeden Tag ein 76’000 km hohes Fass Erdöl – Energie-Umwelt.ch
    10. The Role of Atmospheric Carbon Dioxide Removal in Swiss Climate Policy - Texts (admin.ch)
    11. What Is Carbon Capture and Storage (CCS)? The Vacuum the Climate May Depend On – Bloomberg
    12. Steele, P., Yu, F. and Gajjela, S. (2009): Past, Present, and Future Production of Bio-oil 1079592 (osti.gov).
    13. Climate change: Stone dust in the field could bind billions of tons of CO2 - DER SPIEGEL
    14. Applying rock dust to croplands could absorb up to 2 billion tonnes of CO2 from the atmosphere, research shows | Energy Institute | The University of Sheffield
    15. Klimaschutz: Moore sind effektive CO2-Speicher | NDR.de – Ratgeber

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